Löw macht weiter: „Kann mir nichts Schöneres vorstellen“
Frankfurt/Main (dpa) - Nach ein paar ruhigen Tagen im beschaulichen Freiburg hat Joachim Löw den großen Rausch von Rio verarbeitet und ist bereit für die nächste Titelmission mit seinen WM-Helden.
Wie von Fußball-Deutschland erhofft und von DFB-Boss Wolfgang Niersbach erwartet, will der Bundestrainer seinen Vertrag bis 2016 erfüllen. „Ja, im Moment kann ich mir nichts Schöneres vorstellen, als mit dieser Mannschaft weiterzuarbeiten, sie zur Europameisterschaft nach Frankreich zu führen, das Team, die einzelnen Spieler weiter zu entwickeln. Ich bin so motiviert wie am ersten Tag beim DFB“, erklärte der 54-Jährige am Mittwoch in einem Interview auf der Homepage des Deutschen Fußball-Bundes.
An einen möglichen Rücktritt und eine Kündigung seines bis 2016 datierten Vertrages habe er „keine Sekunde gedacht“, sagte Löw. Das hatte sich bei der großen Partie vor dem Brandenburger Tor nach der Rückkehr aus Brasilien vor fast einer halben Million Fans noch anders angehört. Nach dem 1:0 nach Verlängerung im WM-Endspiel gegen Argentinien im legendären Maracanã hatte Löw sich Bedenkzeit erbeten. „Ich habe einfach ein paar Tage gebraucht, um alles sacken zu lassen, um die Emotionen in den Griff zu bekommen, um den Blick wieder klar nach vorn zu richten“, sagte Löw. Im Kreise von Familie und Freunden fand er die nötige Ruhe, berichtete er.
Die Perspektive, mit den zumeist noch jungen Weltmeistern weitere große Taten zu vollbringen, ist auch für Löw verlockend. „Wir haben in Brasilien einen gigantischen Erfolg gefeiert, es gibt aber noch weitere Ziele, die wir erreichen wollen. Die WM 2014 war für alle ein Höhepunkt, sie war aber noch kein Abschluss“, betonte der DFB-Chefcoach.
Zehn Tage nach dem großen Finalabend kam nun das Bekenntnis zum Bundestrainer-Job. „Wir wollen weiter zusammenbleiben, weil es wunderbar passt, fachlich, menschlich, atmosphärisch“, hatte Niersbach schon am vergangenen Wochenende betont. Der Vertrag mit Löw war auch auf Initiative des Verbandbosses im Oktober 2013 nach der geglückten WM-Qualifikation vorzeitig verlängert worden. Löw hatte nicht auf den neuen Kontrakt gedrängt, erklärte aber nun: „Ich habe meinen Vertrag mit dem DFB nicht bis zum Jahr 2016 verlängert, um ihn vorzeitig zu beenden.“
Exakt zehn Jahre wäre er 2016 im Amt. Länger waren nur Otto Nerz, Sepp Herberger und Helmut Schön Bundestrainer. Den besten Punkteschnitt aller DFB-Coaches hat Löw schon. Mit 2,24 Zählern liegt er vor Berti Vogts (2,18) und Jupp Derwall (2,15). Zum Siege-Rekord von Sepp Herberger (94) fehlen Löw (77) noch 17 Länderspielerfolge.
Nun will sich Löw für einige Zeit abschotten, im Urlaub entspannen, aber auch neue Strategien austüfteln. Das nächste Länderspiel steht schon am 3. September in Düsseldorf mit dem erneuten Aufeinandertreffen mit Argentinien 53 Tage nach dem Showdown in Rio an. Vier Tage später beginnt mit dem Duell mit Schottland in Dortmund die EM-Qualifikation, in der Irland, Polen, Georgien und Gibraltar die weiteren Kontrahenten sind.
Löw muss bis dahin noch wegweisende Personalentscheidungen treffen. Nach dem Wechsel seines Freundes und Co-Trainers Hansi Flick ins Amt des DFB-Sportdirektors steht die Benennung eines neuen Assistenten aus. „Was Hansis Nachfolge angeht, verspüre ich überhaupt keinen Zeitdruck oder akuten Handlungsbedarf, wir haben schon noch Zeit. Ich habe hier Ideen, jeder darf sicher sein, dass wir alle nun den bevorstehenden Urlaub nutzen werden, um uns Gedanken für die anstehenden großen Aufgaben zu machen“, sagte Löw.
Dass er bei dieser Personalentscheidung keine Eile walten lässt, bewies Löw schon 2006 bei der Auswahl von Flick. In sein Premierenländerspiel gegen Schweden (3:0) ging er ohne Assistenten - Flick wurde erst eine Woche später benannt. Der frühere Mainzer Coach Thomas Tuchel gilt laut Medienberichten als eine Option. Doch Löw war bei allen seinen Entscheidungen für Überraschungen gut und hat nach dem WM-Triumph gänzlich freie Hand.
Gesucht wird auch ein Nachfolger von Kapitän Philipp Lahm, der als bislang einziger Weltmeister seinen Nationalmannschafts-Rücktritt erklärt hat. „Aus sportlicher und menschlicher Sicht ist sein Rücktritt für uns ein großer Verlust. Ich hätte mir keinen besseren Kapitän als ihn wünschen können, er hat die Nationalmannschaft auf herausragende Art geprägt, geführt und präsentiert. Deswegen bedauere ich, dass er der Nationalmannschaft künftig nicht mehr zur Verfügung stehen wird“, sagte Löw. Die Entscheidung habe ihm Lahm am Montag nach der großen Party-Nacht in Ipanema verkündet.
Ob sich nach Lahm noch weitere Weltmeister wie Miroslav Klose oder Bastian Schweinsteiger aus dem DFB-Team verabschieden, wird Löw in den kommenden Wochen erfahren. Davon wird ebenfalls die Kapitänsfrage abhängen. Auch Torwart Manuel Neuer gilt als Kandidat. In der Sportlichen Leitung bleiben Teammanager Oliver Bierhoff und Torwarttrainer Andreas Köpke Löw „zum Glück erhalten“ wie dieser betonte.
Mit seiner Entscheidung folgt Löw den Vorbildern Herberger und Schön, die als Weltmeister-Trainer nach den WM-Siegen 1954 und 1974 ebenfalls im Amt blieben - bei den folgenden Turnieren aber kein Fortune mehr hatten. Einzig der damalige Teamchef Franz Beckenbauer trat nach dem WM-Triumph 1990 ab.
Löw übernahm 2006 nach dem deutschen WM-Sommermärchen die Bundestrainer-Rolle von seinem Chef Jürgen Klinsmann. Bei der EM 2008 führte er das DFB-Team auf Platz zwei. Bei WM 2010 und EM 2012 war im Halbfinale Endstation. In Brasilien folgte mit dem vierten WM-Titel für Deutschland die Krönung der Karriere für Löw. Mit einem EM-Erfolg 2016 würde er als einziger Bundestrainer neben Schön zwei große Turniererfolge vorweisen können.