WM 2018 im Fokus Löw verlangt totale WM-Hingabe - Rekord keine Titelgarantie
Kaiserslautern (dpa) - Der Quali-Rekord animierte Joachim Löw zu einem „großen Kompliment“ an seine Spieler - mehr nicht.
Weltmeister in der WM-Qualifikation klingt als Titel wunderbar. Zehn Siege, 43:4 Tore seien „cool und etwas für die Geschichtsbücher“, wie Kapitän Thomas Müller die Leistung nach dem abschließenden 5:1 (1:1) gegen Aserbaidschan einordnete: „Diese Quali hat uns Selbstvertrauen gegeben - aber sie bringt uns keinen einzigen Punkt in Russland!“
Und darum verabschiedete der Bundestrainer die Nationalspieler in Kaiserslautern mit seinem neuen Mantra in den Alltag des Vereinsfußballs: 2018 gehe es in Russland um etwas Historisches, betont Löw, um etwas „Übermenschliches“, um den zweiten WM-Titel am Stück. Und dafür verlangt er eine totale Hingabe, die nicht erst mit dem WM-Trainingslager Mitte Mai in Südtirol beginnen könne.
„Die Spieler müssen sich frühzeitig auf das Turnier mental einstellen“, lautete Löws Ansage. Die Gruppengegner Nordirland, Tschechien, Norwegen, Aserbaidschan und San Marino stellten nicht den Leistungsmaßstab dar. „Bei der WM kommen andere Kaliber, deswegen sollten wir den Ball flach halten“, verkündete Löw in bestem Fußballerdeutsch. „Unsere Mannschaft ist zu einer Benchmark geworden. Aber der Kampf an der Spitze wird in Russland ganz hart“, sagte er.
Als der 16 Jahre alte Luis von der Aktion „Herzenswünsche“ in der Pressekonferenz im Fritz-Walter-Stadion die letzte Frage stellen durfte, wurde endgültig jedem Zuhörer klar, wie besessen der 57 Jahre alte Löw vom erneuten WM-Triumph am 15. Juli 2018 in Moskau ist. „Wären sie enttäuscht, wenn wir bei der kommenden WM im Halbfinale ausscheiden?“, fragte Nachwuchsreporter Luis. Löws Antwort kam ohne Zögern: „Klar, wenn man kurz vor dem Finale rausfliegt, ist man ein bisschen am Boden zerstört. Wenn man im Halbfinale steht, will man den Schritt ins Finale machen.“ Und das dann erst recht gewinnen!
Löws Botschaft ist bei den Adressaten angekommen. „Es geht schon darum, dass sich jeder Spieler einschärft, dass da nicht nur ein kleines Turnier in Russland stattfindet, sondern ein Riesenhighlight auf uns wartet. Jeder Spieler muss sich dessen, was den Lebenswandel betrifft, schon bewusst sein“, sagte Weltmeister Müller.
Und der zweifache Torschütze Leon Goretzka, neben dem Sandro Wagner, Antonio Rüdiger und Emre Can auf dem Betzenberg getroffen hatten, ergänzte: „Es gilt für jeden Einzelnen, sich in Topform zu bringen. Wenn du zwei Wochen vor der WM damit anfangen willst, wird das nicht gelingen.“ Nein, man müsse „das ganze Leben daran anpassen“.
Eine „gute Basis“ für Löws Agenda 2018 ist in der WM-Ausscheidung geschaffen worden. 37 Spieler hat der Bundestrainer (ohne den stets verletzten Marco Reus) eingesetzt. Der Münchner Dauerbrenner Joshua Kimmich absolvierte als einziger die kompletten 900 Spielminuten. Müller und Wagner waren mit fünf Treffern die besten Schützen.
Löw hat einen großen Pool, aus dem er am Ende die 23 WM-Kräfte auswählen muss. „Die Türe ist natürlich offen. Manchmal kommt der eine oder andere dazu, mit dem man noch nicht rechnet“, sagte er. Vielleicht kommen fast vergessene Klassespieler wie die von vielen Verletzungen geplagten Reus, Ilkay Gündogan oder die Weltmeister Mario Götze und André Schürrle zurück. „Es gibt keinen Grund, irgendwelche Spieler abzuschreiben“, sagte der Bundestrainer.
Der fehlerhafte, fahrige Auftritt in der ersten Hälfte gegen die lange wehrhaften Gäste aus Aserbaidschan offenbarte, dass für das große Ziel in Russland Weltklassespieler wie Manuel Neuer, Toni Kroos, Mats Hummels, Jérôme Boateng, Mesut Özil, Müller oder auch Sami Khedira fit und in Topform benötigt werden. Dazu kommen inzwischen auch Youngster wie Kimmich und der diesmal verletzte Angreifer Timo Werner, die aktuell zur WM-Elf zählen würden.
Aber werden Talente wie Leroy Sané (21) oder Julian Brandt (21) in acht Monaten schon so weit sein? „Man muss natürlich auch zugestehen, dass manche junge Spieler gewisse Stufen in der Entwicklung durchlaufen. Da funktioniert nicht alles so“, sagte Löw.
Am 1. Dezember werden in Moskau die WM-Gruppen ausgelost. „Es wird genommen, wie es kommt“, sagte Löw weltmeisterlich gelassen. Er kann den Ernstfall in den kommenden Monaten nur sporadisch proben. Im November wird gegen Spanien und Frankreich oder Holland gespielt, im März gegen Spanien und Brasilien. „Da will ich natürlich auch das eine oder andere testen“, kündigte der Chefcoach weitere personelle Experimente in den hochkarätigen Länderspielen an. „Die Einspielphase für ein Turnier beginnt erst im nächsten Jahr im Mai, wenn wir ins Trainingslager gehen.“ Spätestens dann wird die WM rund um die Uhr das Denken und Handeln beim Quali-Rekordler bestimmen. „Nur wir als Weltmeister haben in Russland etwas zu verlieren“, urteilt Löw.