Machtkampf beendet: Niersbach wird DFB-Präsident
Frankfurt/Main (dpa) - Mit der Kandidatenkür von Wolfgang Niersbach hat der Deutsche Fußball-Bund das drohende Gezerre um die Macht schnell beendet. Der bisherige Generalsekretär soll neuer DFB-Präsident werden, Amtsinhaber Theo Zwanziger konnte seinen Kandidaten Erwin Staudt nicht durchbringen.
Im Oktober 2012 steht für Funktionärsprofi Niersbach bei einem außerordentlichen Bundestag die Wahl zum Chef des größten Sportfachverbandes der Welt an.
Nach tagelangem Schweigen und viel Geschacher gab der 61-Jährige dem DFB-Präsidium und fünf Vertretern der Regionalverbände sein Ja. „Ich habe gewaltigen Respekt vor dem Amt, aber auch das Selbstvertrauen: Ja, ich traue es mir zu, ich bin bereit“, erklärte Niersbach.
Nach Zwanzigers überraschender Rücktrittsankündigung hatte es einige unruhige Tage in der DFB-Zentrale in der Otto-Fleck-Schneise und unter den Landesfürsten gegeben. In der Pressekonferenz nach der Entscheidung schwelgte Zwanziger in Harmonie. „Unterm Strich bin ich sehr, sehr zufrieden, weil ich auch schon andere Wechsel hier beim DFB erlebt habe“, meinte er. Der Jurist erinnerte damit an die Zeiten mit der Doppelspitze Zwanziger/Gerhard Mayer-Vorfelder und lobte die DFB-Verantwortlichen, wie „schnell und attraktiv“ alles vonstattengegangen sei: „Nehmen Sie uns bitte ab, dass es da keine Machtkämpfe hinter den Kulissen gibt.“
Zwanziger hatte sich Niersbach bereits 2010 als seinen Nachfolger gewünscht, als er schon einmal von Amtsmüdigkeit geplagt war. „Damals war er noch nicht bereit. Umso mehr freue ich mich heute über seine Zusage. Er erhält meine volle Unterstützung“, sagte der 66-Jährige. In einem Telefonat am Abend zuvor gegen 22.30 Uhr habe ihm Niersbach seine Entscheidung mitgeteilt, danach wurde Staudt von Zwanziger per SMS informiert.
Erst auf Nachfrage sprach der amtierende Präsident von seinem Wunschkandidaten: Den früheren Präsidenten des VfB Stuttgart hatte Zwanziger ins Rennen gebracht, er war aber bei der Sitzung in der Bibliothek des Verbandes erst gar nicht mehr dabei. Warum der frühere IBM-Manager überhaupt ein Thema war? „Wenn Wolfgang nicht bereit gewesen wäre, dann hätten wir Alternativen haben müssen“, erklärte der DFB-Boss, der auch Liga-Präsident Reinhard Rauball angesprochen hatte. „Das ist okay so“, meinte Außenseiter Staudt nach seinem Aus.
Auf breite Zustimmung stieß die Entscheidung im Profilager. Niersbach sei als Mann des Ausgleichs bekannt, „der stets die Interessen des gesamten Fußballs im Blick hat und großes Ansehen in allen Bereichen des DFB genießt“, sagte Rauball, der als DFB-Präsidiumsmitglied bei der Sitzung fehlte, weil er erst das Votum der Amateurvertreter abwarten wollte. Bundestrainer Joachim Löw erklärte in einer DFB-Mitteilung über Niersbach: „Er ist ein Teamplayer mit großer Erfahrung und angenehmem Führungsstil. Ich bin sicher, dass er auch in der neuen Rolle einen engen Draht zur Nationalmannschaft halten und unsere Arbeit optimal unterstützen wird.“
Der bis November 2013 gewählte Zwanziger hatte bei der DFB-Jahresabschlussfeier überraschend verkündet, dass er sein Amt vorzeitig abgeben werde. Mit sofortiger Wirkung zurückzutreten komme für ihn nicht infrage - „weil ich der Überzeugung bin, dass auch der amerikanische Präsident, der Herr Obama, sollte er wiedergewählt werden, nicht vier Jahre eine Lame Duck ist“. Er werde sich nun zunehmend auf den internationalen Bereich mit seinen Ämtern beim Weltverband FIFA und der Europäischen Fußball-Union konzentrieren. Niersbach signalisierte bereits, dass er nach Zwanzigers geplantem Abgang 2013 als UEFA-Exekutivmitglied für diesen Posten kandidieren werde.
Zwanziger räumte aber auch ein, dass er sich die Fußball-Europameisterschaft 2012 in der Ukraine und Polen als Delegationschef nicht entgehen lassen will. „Ich habe in den letzten Jahren die Nationalmannschaft begleitet, deshalb ist mir die Teilnahme an der EM auch als Präsident des DFB so wichtig.“ Am liebsten würde er natürlich mit einem EM-Titel abtreten.
Seinem designierten Nachfolger dürfte Zwanziger ein pikantes Streitthema vererben. Trotz der juristischen Einigung zwischen Manfred Amerell und dem frühere FIFA-Referee Michael Kempter ist ein Frieden des ehemaligen Schiedsrichter-Funktionärs mit dem DFB nicht in Sicht. „Wir sind noch nicht am Ende. Der Prozess gegen den DFB muss kommen und er wird kommen“, erklärte Amerell, der in dieser Causa allerdings Hoffnung in Niersbach setzt: „Vielleicht kann man mit der neuen DFB-Führung zu einem konstruktiveren Gespräch kommen.“
Zunächst stand aber zunächst nicht der Zwist, sondern die neue Personalie im Vordergrund. Der einstige Sportjournalist Niersbach - etwas erschlagen von den vergangenen Tagen und den kurzen Nächten („Mir sind 1001 Gedanken durch den Kopf geschossen“) - gestand: „Das war nicht meine Lebensplanung. Ich hab mit meiner Familie, mit meinen engen Freunden lange Gespräche gehabt, weil mir bewusst ist, das ein gewaltiger Schritt ist.“ Er sei immer ein Mannschaftsspieler gewesen. „Der Präsident eines solch großen Verbandes kann überhaupt kein Solist sein. Er soll der Kapitän einer Mannschaft sein, Fußball ist ein Mannschaftsspiel“, erklärte er.
Die Tatsache, dass er nicht mehr der höchste Hauptamtliche im DFB ist, sondern von Oktober an ein Ehrenamt ausfüllen wird, nimmt er in Kauf. Wohl wissend, dass die Aufwandsentschädigungen vor allem in internationalen Sportverbänden mittlerweile mehr als ein Zubrot sind. „Ich habe jetzt nicht vor, meine Gehaltsabrechnung offenzulegen“, sagte er schmunzelnd. „Es ist kein Problem...“. Wer Niersbach als Generalsekretär beerben soll, blieb zunächst offen. Mögliche Kandidaten als höchster bezahlter Angestellter des DFB wären die Direktoren Stefan Hans und Helmut Sandrock.