Brasiliens starker Mann im Hintergrund: Parreira
São Paulo (dpa) - Brasiliens Trainer Luiz Felipe Scolari, so sagt man im Umfeld der Seleção, sei nicht mehr so aufbrausend, seit Carlos Alberto Parreira zum Führungsstab gehört.
Auch wenn das ganze Land verrückt spielen sollte wegen der WM: Der 71-Jährige bewahrt mit Sicherheit seine stoische Ruhe. Mit Scolari war er im November 2012 zur brasilianischen Fußball-Nationalmannschaft zurückgekehrt - und mit ihm ein unerschöpflicher Erfahrungsschatz.
Sechs verschiedene Nationalmannschaften hat Parreira im Laufe seiner Karriere betreut. Mit Kuwait (1982), den Vereinigten Arabischen Emiraten (1990), Saudi-Arabien (1998) und Südafrika (2010) war er bei einem Endrundenturnier. Und natürlich mit Brasilien, beim WM-Triumph 1970 schon als Fitnesstrainer. 1994 gewannen die Südamerikaner unter ihm ihren vierten von bislang fünf WM-Titeln, im Elfmeterschießen nach einem torlosen Finale gegen Italien.
„Ich habe 150 Millionen Brasilianer besiegt“, meinte er damals nach vielen Kritiken im Vorfeld. Später sagte er einmal: „Die damalige Zeit vor und während der WM war die schlimmste meines Lebens. Der Druck war immens. Es war so, als ob ganz Brasilien gegen die Nationalelf war.“
2006 in Deutschland scheiterte Parreira mit den Stars Ronaldo und Ronaldinho im Viertelfinale an Frankreich. In der Rubrik der WM-Rekordtrainer steht vor dem Brasilianer nur Helmut Schön, der in 25 Spielen auf der Bank saß. Parreira, der als Bewunderer Sepp Herbergers gilt, tat dies 23 Mal. Auch beim Endrundenturnier in seiner Heimat hat der einstige Amateurfußballer einen festen Platz am Spielfeldrand neben Scolari.
Parreira gilt vielen als kühl und unnahbar, die großväterliche Herzlichkeit Scolaris hat er nicht. Auch nicht dessen Humor und Schlagfertigkeit, mit denen „Felipão“ Fans und Medienvertreter auf seine Seite bringt.
Klare Worte scheut Parreira aber nicht: Er ist - auch dank der Petrodollars bei seinen Auslandsengagements - ein gemachter Mann. Und seit seinem WM-Triumph 1994 in den USA gibt er sich unangreifbar, auch wenn er nach der Pleite 2006 als Nationaltrainer zurücktrat.
Kurz vor dem Endrundenturnier in seiner Heimat fand er deutliche Worte für die Probleme rund um die Weltmeisterschaft. „Wir haben die Gelegenheit verpasst, der Welt zu zeigen, was wir in diesem Land schaffen können. Wir haben die Gelegenheit verpasst, allen Brasilianern mehr Lebensqualität zu bieten“, sagte Parreira mit Blick auf die schleppenden Maßnahmen zur Verbesserung der Infrastruktur.
Er sei zwar überzeugt, dass alle Stadien rechtzeitig fertig würden. Es sei aber eine Schande, dass andere Projekte, von denen alle Brasilianer profitieren könnten, erst nach dem Turnier abgeschlossen sein würden.
Parreira ist in Rio de Janeiro geboren, seinen Vater verlor er schon mit zwei Jahren. Als Jugendlicher musste er neben der Schule arbeiten. Eigentlich wollte er nur „ein guter Turnlehrer“ werden. Heute weist die Trainerbiografie des Diplom-Sportlehrers über 20 Stationen auf. So coachte er als Trainer-Jungspund 1967 mit 24 Jahren Ghana. In Brasilien betreute er unter anderem Fluminense, Corinthians und den FC São Paulo, in Spanien den FC Valencia, in der Türkei Fenerbahçe Istanbul und in den USA die MetroStars. Sein halbes Leben hat Parreira auf dem Fußballplatz verbracht.
Wenn sich die Seleção in diesem Sommer ihren Traum von der „Hexacampeão“ erfüllt, könnte Parreira in den Ruhestand gehen. Theoretisch. „Wenn es nach meiner Familie ginge, wäre ich längst in Pension gegangen, aber der Druck wächst von Tag zu Tag“, sagte der Diplom-Sportlehrer - vor über sechs Jahren zu seinem 65. Geburtstag.