Der dritte Boateng
Berlin (dpa) - Die Brüder machen Karriere als Fußballprofis und spielen bei der WM in Brasilien, er selbst landete im Knast. Das ist die Geschichte, die die Medien gerne über George Boateng erzählen.
Doch auch der 31-Jährige geht seinen Weg - und scheint bei sich angekommen zu sein.
„Jetzt schließt sich der Kreis. Dass ich vielleicht das mache, für das ich schon immer bestimmt war“, sagt der Familienvater, der an seinem ersten Hip-Hop-Album arbeitet. „Musik war schon immer ein Teil unseres Lebens.“
Während der Älteste zu Hause in Berlin ist, kämpfen die beiden jüngeren Brüder Jérôme (25) und Kevin-Prince (27) in Brasilien um den WM-Pokal - in getrennten Teams. Am Samstag stehen sie sich wohl zum zweitem Mal bei einer WM gegenüber: Jérôme spielt für die deutsche Nationalelf, Kevin-Prince im Trikot von Ghana, dem Heimatland des Vaters. „Das ist schon verrückt“, sagt George der dpa. Nervös sei er aber nicht mehr, wenn er die beiden im Fernsehen sehe: „Das ist inzwischen alles ganz easy, als ob sie hier im Park spielen würden.“
Im Park an der Panke in einem engen Fußballkäfig spielten die drei Jungs, wann immer es ging. Um die Ecke im sozial schwachen Bezirk Wedding wuchsen George und Kevin bei ihrer Mutter auf. Halbbruder Jérôme lebte mit dem gemeinsamen Vater und seiner Mutter im beschaulicheren Berlin-Wilmersdorf. In den Ferien und am Wochenende kickte er bei den Brüdern. „Die Panke war mein Zuhause“, sagte Kevin einst der „Zeit“. „Ihr habe ich alles zu verdanken.“
Klar sei es mitunter sehr hart zugegangen, erinnert sich George. „Das ist das Erste, was man lernt: Ellenbogen raus und weiter geht's.“ Für viele galt er als der Talentierteste auf dem Bolzplatz. „George hätte ein Großer werden können“, sagt sein Vater im Buch „Die Brüder Boateng: Drei deutsche Karrieren“. „Er konnte doch so viel mit dem Ball.“ Seinen jüngeren Brüdern ist er ein Vorbild, nur ihm selbst fehlte wohl eine Leitfigur: „George hatte es früher ganz schwer, weil ihm keiner so richtig gesagt hat, was richtig ist und was falsch“, sagt Jérôme in dem Buch. „Es wär auf jeden Fall einfacher gewesen, wenn ich einen großen Bruder gehabt hätte, der mir ein paar Ratschläge gegeben hätte“, sagt George heute.
Statt wie seine zwei Geschwister als gut bezahlter Jung-Profi für Hertha BSC im Olympiastadion zu spielen, gerät der Älteste zunehmend in Schwierigkeiten. Dann landet er wegen verschiedener Delikte wie Körperverletzung im Knast. Doch George - so wirkt es zumindest heute - hadert nicht mit seiner verpassten Karriere: „Talentiert reicht nicht, du musst auch diszipliniert sein, und das war ich sicher nicht. Ich war halt ein junger Bursche, der keine Regeln kannte.“
Im Gefängnis habe er die richtige Richtung gefunden: „Da gibt es ja nur zwei. Entweder du wirst schlimmer als du warst oder du hörst komplett auf.“ Endlich habe er viel Zeit zum Nachdenken gehabt: „Und dann war da der verdammte Spiegel in meiner Zelle, ich habe mich jeden Tag angeschaut und ich wurde immer gelber, genauso gelb, wie diese eklige Wand. Ich habe erstmal das Hässliche gesehen in meinem Gesicht, wie sehr ich mich habe gehen lassen in all den Jahren.“ Er habe sich geschworen: „So kann es nicht weitergehen.“
Ob noch ab und an Aggressionsschübe bei ihm durchkommen? „Mit Sicherheit, man muss halt damit umgehen können.“ Ohnehin wirkt der junge Mann, als würde er kein Blatt vor den Mund nehmen. „Ich bin frei Schnauze“, sagt er. So sagt er etwa zum brutalen Foul von Kevin an Michael Ballack, das den „Leitwolf“ 2010 die WM-Teilnahme kostete und seinen Bruder zu einer Art „Staatsfeind“ der Nation machte: „Am Ende hat uns doch die ganze Sache nur gut getan. Seit dem Tag wusste zumindest jeder, wer Boateng ist.“
Mit der Geburt seiner Kinder veränderte sich das Leben von George noch einmal komplett: „Da musst du Verantwortung übernehmen“. Der heute sechsjährige Sohn Jamal kommt mit Trisomie 21 auf die Welt, dem Down-Syndrom. Der Vater gibt sich später den Künstlernamen Trisomie. Viele fragen, was das bedeute. „Aber das ist genau das, was ich erreichen will. Ich mach ja die Musik nicht, um zu zeigen, was für ein cooler Kerl ich bin, sondern damit die Leute auch mal anfangen nachzudenken - etwa über das Schicksal und die Herausforderungen im Leben.“
Sein Debütalbum, auf dem sich harter Straßen-Rap ebenso finden wird wie melancholischere Stücke, soll im Herbst oder Winter bei einem großen Label herauskommen. Daneben kümmert sich George um seine Hundezucht und unterstützt Stiftungen der Familie, die sich gegen Rassismus engagiert.
Neben Fußball und Musik sei die Familie sehr wichtig bei den Boatengs, sagt George. „Familie bedeutet, dass man aufeinander achtet.“ Alle drei Brüder tragen das gleiche Tattoo - den Umriss von Afrika. Und alle drei sind selbst relativ jung Väter geworden.
Vor allem gehe es darum, zu wissen wer man ist, sagt George. „Leider vergessen das viele Leute, umso berühmter sie sind.“ Klar könne man zwischendurch mal abheben oder durchdrehen. Wichtig sei, am Ende zu wissen, woher man kommt. Und seine Brüder? „Die haben das schon ganz gut hinbekommen, das ist in Ordnung.“