Der „Hexa“-Traum ist aus: Brasilien trägt Trauer
Rio de Janeiro (dpa) - Brasilien weint. Der Schock bei fast allen 200 Millionen Brasilianern, die sich nichts sehnlicher gewünscht hatten als den „Hexa“, den sechsten WM-Titel, sitzt tief.
1:7 gegen Deutschland - da war selbst Präsidentin Dilma Rousseff fassungslos. „Wie alle Brasilianer bin ich sehr, sehr traurig über die Niederlage. Es tut mir immens leid für uns alle, für die Fans und unsere Spieler“, twitterte sie nach dem Spiel. Doch entließ sie ihre Landsleute nicht ohne Zuspruch: „Aber wir lassen uns nicht brechen. Brasilien, schüttel' den Staub ab und steh wieder auf.“
Am Sonntag wird die 66-Jährige dem WM-Sieger die Trophäe in Rios Maracanã-Stadion übergeben. Aber es wird nicht die Seleção sein, denn die spielt am Samstag in Brasília um Platz drei. „Das ist Sport. Das ist Fußball. Aber es ist schwer, auf diese Weise zu verlieren“, sagte Brasiliens bekanntester TV-Moderator Galvão Bueno. Die historische Schlappe gegen Deutschland könnte sich nach dem Maracanaço von 1950, der WM-Niederlage Brasiliens gegen Uruguay, zu einem weiteren nationalen Trauma entwickeln. „Enttäuschung. Es ist eine furchtbare Enttäuschung. Traurig. Es gibt keine Worte“, sagte der Brasilianer Luis nach dem „Inferno“, das er auf dem Bildschirm in einer Bar an der Copacabana verfolgte.
In Rio de Janeiro zog sich der ansonsten strahlendblaue Himmel pünktlich zum Spielbeginn zu. Schwere dunkle Wolken verdüsterten den Horizont, doch da hatten die 20 000 Fans auf dem FIFA-Fanfest noch keine Vorahnung. „Eu sou Brasileiro com muito orgulho, com muito amor“, sangen sie aus voller Kehle. „Ich bin Brasilianer mit viel Stolz, mit viel Liebe.“ Doch die Gesänge wurden schon nach dem ersten Tor schwächer und nach jedem weiteren der sieben Tore immer leiser, bis sie ganz verstummten. „Das ist ein Scheißland. Das einzige, was wir haben, ist Fußball und Karneval. Und jetzt nicht mal mehr das“, sagte der Brasilianer Carlos fassungslos nach dem Abpfiff.
Viele Medien erinnerten am Tag danach an den Maracanaço, der sich damals tief in die Fußballseele des Landes einbrannte. Die Zeitung „O Dia“ schrieb: „Schande im Land des Fußballs. Der größte WM-Gewinner hat sich gekrümmt. Er wurde zu Hause gedemütigt. Und das mit erlesener Grausamkeit. Der Schmerz von 1950 wiederholt sich 2014. Die Wunde ist offen und es wird dauern, bis sie verheilt ist.“
„Das war ein Tag der Demütigung“, sagte auch TV-Kommentator Galvão und ließ eine Fernsehszene von einen herzzerbrechend weinenden brasilianischen Jungen einblenden. „Wie lange wird es wohl dauern, bis er sich davon erholt“, fragte Galvão. Der Ex-Stürmer Ronaldo, der bei Globo als Co-Kommentator fungierte, sprach von einem sehr traurigen Tag. Aber er übte sich auch in Zweckoptimismus: „Wir sind der einzige Fünffach-Weltmeister. Wir können stolz sein, Brasilianer zu sein.“ Und selbst Brasiliens Nationalcoach Luiz Felipe Scolari erklärte: „Das Leben geht weiter.“
Doch nicht überall in Brasilien ging es nach dem Debakel friedlich zu. Mancherorts kam es in der Nacht zu Ausschreitungen. In São Paulo wurden nach Medienberichten 23 Busse in Brand gesetzt, zudem wurde ein Geschäft für Elektrogeräte geplündert. Die Polizei habe sechs Menschen festgenommen, darunter vier Minderjährige, hieß es. Bei den Fan-Festen in Rio de Janeiro und Belo Horizonte gab es nach dem Spiel Schlägereien und Zusammenstöße mit der Polizei.