Deutsche WM-Viertelfinals: Ohrfeige und Spickzettel

Berlin (dpa) - Eine Ohrfeige für den Kapitän, ein Spickzettel für den Torwart und Verschwörungstheorien des Trainers: Die Geschichte der deutschen Viertelfinal-Spiele bei Fußball-Weltmeisterschaften ist reich an Besonderheiten und Kuriositäten.

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Sportlich sieht die Bilanz vor dem Kräftemessen mit Frankreich am Freitag (18.00 Uhr MESZ) in Rio de Janeiro überaus positiv aus. Zehn Siegen für die DFB-Auswahl stehen in der Runde der letzten Acht bei Welt-Turnieren nur drei Niederlagen gegenüber, die das schmerzliche Aus bedeuteten.

Der glanzvollste Erfolg gelang vor vier Jahren in Südafrika mit dem 4:0 gegen Argentinien, aber auch deutsche Zittersiege stehen in den WM-Annalen. Zweimal gelang der Einzug ins Halbfinale sogar erst im Elfmeterschießen. Bis heute legendär ist der 3:2-Sieg nach Verlängerung 1970 gegen England. Bei den Turnieren 1974, 1978 und 1982 fand kein Viertelfinale statt, dafür wurde eine zweite Finalrunde in Gruppen ausgespielt.

(Fast) Immer denkwürdig: WM-Viertelfinals der DFB-Elf
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Die deutschen Viertelfinalspiele bei Fußball-Weltmeisterschaften:

31. Mai 1934 in Mailand - 2:1 gegen Schweden

Fritz Szepan führt glänzend Regie, Karl Hohmann schießt beide Tore: Im strömenden Regen von Mailand zieht die Elf von Reichstrainer Otto Nerz bei ihrer ersten WM-Teilnahme gleich ins Halbfinale ein. Gösta Dunker verkürzt für die Skandinavier, die nach einer frühen Verletzung von Ernst Andersson zu zehnt weiterspielen müssen.

27. Juni 1954 in Genf - 2:0 gegen Jugoslawien

Ein frühes Eigentor ebnet Sepp Herbergers Elf den Weg. Ivica Horvat bezwingt seinen Keeper Vladimir Beara schon nach zehn Minuten per Kopf, danach spielen nur noch die Jugoslawen. Aber an Toni Turek ist für die Techniker vom Balkan kein Vorbeikommen. Vier Minuten vor dem Ende sorgt Helmut Rahn mit dem zweiten Treffer für die Entscheidung.

19. Juni 1958 in Malmö - 1:0 gegen Jugoslawien

Von Jungstar Uwe Seeler ist wenig zu sehen, dafür springt einmal mehr Rahn in die Bresche. Mit einem Schuss fast von der Torauslinie bezwingt der Essener Jugoslawiens Torwart Srboljub Krivokuca früh. Die folgenden 78 Minuten geraten zur Abwehrschlacht, doch Fritz Herkenrath im deutschen Tor ist einfach nicht zu überwinden.

10. Juni 1962 in Santiago de Chile - 0:1 gegen Jugoslawien

Schon wieder die „Jugos“, doch diesmal ist kein Rahn mehr da. Der Auftritt beim ersten deutsche Viertelfinal-K.o. ist ein Spiegelbild des Turniers. Sepp Herberger wird in der Heimat fehlende Bereitschaft zum Risiko vorgeworfen. Und dann patzt auch noch die Abwehr. In der 84. Minute schlägt ein Radakovic-Schuss hinter Wolfgang Fahrian ein.

23. Juli 1966 in Sheffield - 4:0 gegen Uruguay

Ohrfeige für Uwe Seeler und Bobbys auf dem Platz: Die Partie gegen eisenhart einsteigende Uruguayer ist kein Muster für Fairness. Horacio Troche, der den deutschen Kapitän beim Abgang schlägt, und Hector Silva müssen nach ihren Platzverweisen regelrecht „abgeführt“ werden. Erst gegen neun Mann hat Helmut Schöns Elf leichtes Spiel.

14. Juni 1970 in Leon - 3:2 nach Verlängerung gegen England

Die Legende von Leon. Franz Beckenbauers Solo und ein Hinterkopf-Tor des unverwüstlichen Uwe Seeler machen einen scheinbar aussichtslosen 0:2-Rückstand gegen England wett. In der 108. Minute schlägt dann Gerd Müller in seiner unnachahmlichen Art zu. Bei glühender Mittagshitze glückt damit die deutsche Revanche für Wembley 1966.

21. Juni 1986 in Monterrey - 4:1 im Elfmeterschießen gegen Mexiko

Toni Schumacher wird zum Retter. Der Kölner Schlussmann hält im Elfmeterschießen gegen WM-Gastgeber Mexiko die Bälle von Fernando Quirarte und Raul Servin und sichert einer spielerisch limitierten Elf den Einzug ins Halbfinale. Trotz Rot gegen Thomas Berthold wegen Tätlichkeit setzen sich am Ende die „deutschen Tugenden“ durch.

1. Juli 1990 in Mailand - 1:0 gegen die Tschechoslowakei

Franz Beckenbauer ist außer sich. Der Teamchef tobt an der Seitenlinie, weil seine Elf nach der Führung durch einen Strafstoß von Lothar Matthäus früh ein bis zwei Gänge zurückschaltet. Nach dem Platzverweis für Lubomir Moravcik, der seinen Schuh wegtritt, wird man noch lässiger. Schwächstes deutsches Spiel in Italien.

10. Juli 1994 in New York - 1:2 gegen Bulgarien

Die Führung durch einen umstrittenen Matthäus-Strafstoß gibt dem Titelverteidiger gegen spielstarke Bulgaren keine Sicherheit. Binnen drei Minuten werfen Tore von Hristo Stoitschkow (75.) und Yordan Letschkow (78.) die Mannschaft von Berti Vogts aus dem Turnier. Der Beckenbauer-Nachfolger steht nach dem K.o. dicht vor dem Rauswurf.

4. Juli 1998 in Lyon - 0:3 gegen Kroatien

Erst Rot für Christian Wörns und dann auch noch Verschwörungstheorien des Trainers. Vogts macht höhere Mächte für die deutsche Pleite im WM-Viertelfinale verantwortlich, doch das Aus ist nach schwachen Leistungen im Turnier programmiert. Torwart Andi Köpke muss Schüsse von Robert Jarni, Goran Vlaovic und Davor Suker passieren lassen.

21. Juni 2002 in Ulsan - 1:0 gegen die USA

Vorne trifft Michael Ballack, hinten hält Oliver Kahn den Laden dicht. Rudi Völlers Elf liefert gegen die USA ein miserables Spiel, das durch Ballacks Tor nach 39 Minuten förmlich auf den Kopf gestellt wird. Nur der „Titan“ in Galaform und Referee Dallas, der Frings' Handspiel im Strafraum nicht ahndet, verhindern die Überraschung.

30. Juni 2006 in Berlin - 4:2 im Elfmeterschießen gegen Argentinien

Ein Spickzettel im Strumpf hilft. Keeper Jens Lehmann fliegt im Elfmeterschießen gegen Argentinien bei den Schüssen von Roberto Ayala und Esteban Cambiasso zweimal in die richtige Ecke. Anschließend fliegen die Fäuste. Leandro Cufre sieht Rot, Torsten Frings wird nachträglich anhand der TV-Bilder für das Halbfinale gesperrt.

3. Juli 2010 in Kapstadt - 4:0 gegen Argentinien

Keine Chance für Diego Maradona, Lionel Messi & Co. Thomas Müllers frühes Führungstor gibt in der Neuauflage des Viertelfinales von 2006 Sicherheit, danach laufen die Kombinationen gegen die Argentinier wie am Schnürchen. Der in seinem 100. Länderspiel zweimal erfolgreiche Miroslav Klose und Arne Friedrich geben der Albiceleste den Rest.