DFB auf Stufe „Rot“ vor WM-Auftakt gegen Ronaldo
Santo André (dpa) - Auch ein Wolkenbruch konnte die Portugal-Simulation nicht stoppen. Drei Tage vor dem WM-Ernstfall erhöhte Joachim Löw noch einmal die Intensität auf dem Trainingsplatz - und ließ seine Auswahl sogar länger als die geplanten 90 Minuten schwitzen.
„Ich freue mich auch, wenn es losgeht und die Wettkämpfe starten“, erklärte ein Bundestrainer in Turnierlaune.
Obwohl Löw schon den Großteil seiner Portugal-Elf im Kopf hat, traten in den geheimen Trainingsspielen verschiedene Formationen erneut gegeneinander an. Der DFB berichtete sogar von einer Einheit in der Stufe „Gelb mit einem Schimmer ins Rötliche“ - nach einigen Tagen in Santo André im weniger anstrengenden gelben und grünen Bereich. Mit den Farben werden in den Plänen die unterschiedlichen Belastungen gekennzeichnet.
Am Abend zuvor hatte ein Fernsehabend im Campo Bahia dem Fußball-Bundestrainer und seiner Mannschaft gleich vor Augen geführt, wie mühsam der Weg ins Endspiel am 13. Juli in Rio de Janeiro für die Favoriten werden kann. Entspannt verfolgten Manuel Neuer & Co. auf ihren Holzliegen neben dem Pool den glücklichen brasilianischen Sieg zum WM-Auftakt. Beim Elfmetergeschenk für Neymar waren im DFB-Quartier „ein paar schmunzelnde Gesichter“ zu beobachten, berichtete Erik Durm und gab einen Einblick in die riesengroße WM-Vorfreude des Mitfavoriten: „Wir fiebern darauf hin.“
Die Anspannung vor der ersten eigenen Aufgabe am Montag gegen den Weltranglisten-Vierten Portugal wächst von Tag zu Tag. Da kommt eine Ablenkung durch den TV-Konsum anderer WM-Partien gerade recht. „Es ist gut für uns, dass wir die nächsten Tage die nächsten Spiele sehen können. Das sorgt für Unterhaltung bei uns“, bemerkte der 54 Jahre alte Löw vor dem 100. WM-Spiel einer DFB-Auswahl.
Natürlich steht die präzise Einstimmung auf Portugal mit Superstar Cristiano Ronaldo weiter im Vordergrund. Einen Tag vor der Abreise nach Salvador simulierte das Team nochmals den Ernstfall für das erste WM-Gruppenmatch in der 48 747 Zuschauer fassenden Arena Fonte Nova. 8.00 Uhr Wecken, bis 10.30 Uhr Frühstück und dann zur Anstoßzeit um 13.00 Uhr eine Trainingseinheit.
Anders als am abgekühlten Vorabend, als sich einige DFB-Akteure beim brasilianisch-kroatischen Anschauungsunterricht in türkisfarbene Decken hüllten, stand am Freitag wieder eine intensive Übungseinheit an. Durch die ergiebigen Regenfälle war die Luftfeuchtigkeit nochmals merklich gestiegen. Aber es wird noch härter.
„Im Spiel müssen wir uns auf Situationen einstellen, in denen wir noch mehr leiden werden, als dies im Training möglich ist“, prophezeite Abwehrchef Per Mertesacker. Der Londoner hat zwar nicht mit der Hitze, aber zumindest mit der ungewöhnlichen Anstoßzeit Erfahrung. „Es ist ein Unterschied, ob man spät spielt und schon drei Mahlzeiten zu sich genommen hat oder am Mittag, mit nur einer oder maximal zwei Mahlzeiten. Wenn man das nicht gewohnt ist, ist es nicht einfach, genügend Nährstoffe zu sich zu nehmen. Nicht jeder kann um neun Uhr morgens Nudeln essen“, sagte Mertesacker.
Neu getaktet wurde auch die Anreise. Der große DFB-Tross fliegt bereits zwei Tage vorher per Charter in den Spielort - und nicht erst einen Tag vor der Partie, wie in der Vergangenheit üblich. Erst vor Ort wird der Bundestrainer die letzten Puzzleteile seiner Aufstellung zusammensetzen. Im modifizierte Modell von Löw gibt es keine Stammelf mehr, sondern „eine erste 14“. Mit den „Spezialkräften“ von der Bank soll in der „zweiten Phase“ die Stunde der Ersatzleute schlagen. Das Sondereinsatzkommando um Bastian Schweinsteiger, André Schürrle, Mario Götze und Miroslav Klose wird dann gebracht, wenn der Gegner bei den extremen klimatischen Bedingungen mit zunehmender Spieldauer Schwächen zeigt, Lücken lässt.
Für Schweinsteiger ist die Rolle aber völlig ungewohnt: In 67 Länderspielen unter Löw wurde er nur dreimal eingewechselt. „Sie haben die Aufgabe, der Mannschaft neue Energie zu geben, neue Impulse zu setzen. Im Zweifel machen diese Spieler den Unterschied“, schilderte Löw seine besondere Sicht.
„Das wird sich durch die ganze WM ziehen, dass Spieler von der Bank kommen, nochmal neuen Schwung bringen und dann die Spiele auch entscheiden können“, betonte Kapitän Philipp Lahm. Und die Startformation aus dem Auftaktmatch - das zeigt der Blick zurück auf andere Turniere - muss nicht die WM-Aufstellung für die folgenden Aufgaben sein. „Klar ist, dass wir unter diesen Bedingungen hier den gesamten Kader brauchen, wenn wir Erfolg haben wollen“, unterstrich der 29-jährige Mertesacker.
Damit sich der Erfolg im 99. Länderspiel des Abwehrchefs einstellt, müssen vor allem die Kreise von Weltfußballer Ronaldo eingegrenzt werden. Der Champions-League-Sieger von Real Madrid hatte am Donnerstag für Irritationen gesorgt, als er das Training beendete und dabei einen Eisbeutel am Knie trug. Doch wie bei der WM 2006 (3:1), der EM 2008 (3:2) und der EM 2012 (1:0) wird Ronaldo, der noch kein Tor gegen Deutschland erzielte, am Montag in der Startelf erwartet.
„Man darf ihn im wahrsten Sinne des Wortes nicht aus den Augen lassen. Der Spieler, der gegen ihn spielt, muss immer sehen, was macht Ronaldo, wo ist Ronaldo“, beschrieb Löw das Anforderungsprofil für den zum Gegenspieler erkorenen Jérome Boateng.
Ein erfolgreicher WM-Start hat Tradition. Bei den drei Titelgewinnen 1954, 1974, 1990 fand Deutschland gleich in die Siegspur. Von 17 Ouvertüren seit 1934 gewann die DFB-Auswahl zwölf und verlor nur eine. „Für uns wäre es sehr gut, wenn wir im ersten Spiel ein Ausrufezeichen setzen könnten“, sagte Löw.