Boateng trägt Ghanas Hoffnungen - 10 000 beim Training
Maceió (dpa) - Drei Tage vor dem WM-Auftaktspiel von Ghanas Fußball-Nationalmannschaft gegen die USA herrscht Unklarheit über die Verfassung von Kevin-Prince Boateng.
Nachdem der Schalker bei einem Geheimtraining entgegen ersten Verbandsangaben doch hatte aussetzen müssen, stand er immerhin am Freitag bei einer lockeren Showeinheit auf dem Spielfeld.
Vor 10 000 Zuschauern jagte er im Estádio Rei Pelé von Maceió unter dem Jubel der brasilianischen Fans den Bällen hinterher. Nach ghanaischen Medieninformationen hatte es sich am Vortag um eine Vorsichtsmaßnahme gehandelt, weil Boateng nach dem Testspielsieg der Westafrikaner Anfang der Woche gegen Südkorea leicht angeschlagen sei. Ein offizielles Statement war Ghanas Verband zunächst schuldig geblieben.
Ein Ausfall ihres Leaders im ersten Gruppenspiel gegen die USA am Montagabend wäre ein herber Verlust für Appiah & Co. Noch am Donnerstag twitterte Boateng voller Enthusiasmus: „Gerade aufgewacht .... kann nicht glauben, es ist schon WM-2014-Modus!“ Sein lange geltendes Image als unverbesserlicher Rabauke hat der streitbare Mittelfeldprofi inzwischen sowieso abgelegt.
In jüngster Vergangenheit änderte sich im Leben des ghanaischen Hoffnungsträgers vieles zum Guten - und auch er selbst. In seiner neuen Rolle als Familienvater ist er besonnener, reifer und abgeklärter geworden - Boateng lässt sich nicht mehr so leicht provozieren wie früher. Beim AC Mailand sammelte er wertvolle internationale Erfahrung, in der Bundesliga reifte er bei Schalke 04 zum Führungsspieler. Durch seinen Einsatz im Kampf gegen den Rassismus erntete er großen Respekt.
Diplomat wird Boateng nie, dafür ist sein Ego immer noch zu riesig. Er ist kein Typ, der sich gern zurücknimmt oder aus taktischen Erwägungen mal auf einen Spruch verzichten würde. Selbst auf die Gefahr hin, dass ihm Arroganz und Selbstgefälligkeit vorgehalten werden. „Ich bin geboren und war irgendwie immer im Mittelpunkt“, urteilte er vor WM-Beginn gewohnt forsch. Schon immer habe es Menschen gegeben, „die sich an mir hochgezogen haben. Aber ich war froh darüber“.
Inzwischen zieht sich tatsächlich fast eine ganze Fußball-Nation an dem 27-Jährigen hoch, an ihm mehr noch als an seinen ebenso hochkarätigen Teamkollegen Michael Essien, Sulley Muntari und Asamoah Gyan. Boateng ist im besten Fußballeralter, er besetzt die wichtige Position hinter den Spitzen, er hat Aura, unbestritten Klasse und Kampfgeist in riesigen Mengen. Die Anhänger der Black Stars in Ghanas Hauptstadt Accra und überall sonst im kleinen westafrikanischen Land fragen sich: Wenn uns so einer als Anführer einer von internationalen Stars gespickten Truppe nicht ganz nach oben führen kann, wer dann?
„Der ganze Kontinent wartet darauf, dass irgendwann mal eine afrikanische Mannschaft Weltmeister wird. Das sind die Hoffnungen, alle beten dafür“, sagte Boateng. In verschiedenen Interviews zu verschiedenen Zeiten erklärten sowohl der Staatspräsident, der Verbandschef als auch der sonst eher zurückhaltende Coach Appiah den Titel zum Ziel - allen realistischen Ausblicken zum Trotz. Dass das verwegen ist, weiß auch Boateng. Er erklärte: „Wenn wir konzentriert und diszipliniert sind, haben wir die Möglichkeit, weiter als 2010 zu kommen.“ Hieße immerhin Halbfinale.
Dass er überhaupt in Brasilien wie schon bei der WM 2010 das Nationaltrikot trägt, war lange nicht klar. Vor drei Jahren hatte er wegen der hohen Belastung und all der weiten Flüge vorerst Schluss gemacht mit den Black Stars. Als die WM immer näher rückte, wollte er wieder zurück. Und hatte auch Glück, dass zwischenzeitlich Kwesi Appiah den Trainerposten übernommen hatte - ein erklärter Freund von Boateng als Person und als Spieler.
In Ghana selbst machte sich Unmut breit, dass Appiah wieder auf einen Profi setzen wollte, der sich nur ein paar Jahre zuvor auf und davon gemacht hatte, der vom Nationalteam zeitweise nichts mehr wissen wollte. Boateng räumte diese Zweifel aus - nicht mit Worten, sondern mit einem einzigen Tor. Beim entscheidenden Qualifikationsspiel in Ägypten sicherte er mit seinem späten Treffer die dritte WM-Teilnahme in Serie. Von Boateng als einem Verräter sprach plötzlich niemand mehr. „Jetzt lieben mich wieder alle“, kommentierte er die Gunst der Fans und schob frech nach: „Sie wissen auch, dass sie mich brauchen.“