Nach Erdogan-Foto Gündogan sucht Rolle für „dieses Land“ - Özil schweigt
Moskau (dpa) - Mit welchen Gefühlen Ilkay Gündogan den deutschen WM-Flieger nach Moskau bestieg, konnte kein Außenstehender wirklich beurteilen. Ein unbeschwertes Gefühl aber kann es nicht gewesen sein.
Spätestens nach den lauten Pfiffen gegen den Nationalspieler bei der Generalprobe von Fußball-Weltmeister Deutschland im Heimspiel gegen Saudi-Arabien steht fest, dass der 27 Jahre alte Gündogan vor einer schwer belasteten WM-Premiere in Russland steht.
Er sei „immer noch dankbar, für dieses Land zu spielen“, hatte der Mittelfeldspieler am Tag nach den Unmutsbekundungen gegen seine Person in Leverkusen via Twitter mitgeteilt. Die in Deutschland kontrovers und aufgeregt diskutierte Affäre um die gemeinsamen Fotos von Weltmeister Mesut Özil und Gündogan mit dem türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan wird auch nach dem Abflug der deutschen Nationalmannschaft ins WM-Land weiter ein großes Thema sein. Nach Informationen der „Sport Bild“ führte auch Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) im Trainingslager in Südtirol ein vertrauliches Gespräch mit den beiden Profis, die zuvor bereits von Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier zu einem Treffen eingeladen worden waren.
Inzwischen weiß auch die Sportliche Leitung, dass die Problematik durchaus den sportlichen Aspekt bei der Fußball-WM beeinflussen kann. „Ich mache mir weniger Sorgen generell um die Mannschaft, sondern eher um die beiden Spieler. Es beschäftigt Mesut und Ilkay schon sehr“, räumte Nationalmannschafts-Manager Oliver Bierhoff in einem Interview der „Bild“ ein.
Die erste Erklärung von Gündogan zum Besuch der beiden türkischstämmigen WM-Spieler mit Erdogan vor einem Monat in London war den Zuschauern in Leverkusen offenbar zu wenig - ein Großteil pfiff den gebürtigen Gelsenkirchener brutal aus. „Es war nie ein Thema, ein politisches Statement zu setzen“, äußerte Gündogan während des Trainingslagers in Südtirol in einem dpa-Interview.
Spielmacher Özil schweigt beharrlich zum Thema - und will die Marschroute des Aussitzens offensichtlich auch in Russland durchhalten. „Ich gehe davon aus, dass er es durchzieht“, sagte Bierhoff. Die Entscheidung könne er nur schwer beeinflussen, machte er deutlich. Gerade in so einem persönlichen Fall könne er Ratschläge geben, „aber muss ich ihnen etwas vorschreiben? Das ist schwierig“, sagte der Manager. „Mündig heißt ja, dass man selbst entscheidet und verantwortet, wie man reagiert. Und das tut Mesut. Ob es in diesem Fall richtig und gut für ihn ist, steht auf einem anderen Blatt.“
Für Bundestrainer Joachim Löw wird der Wirbel um Özil und Gündogan auch zu einem sportlichen Problem. Weltmeister Özil ist für ihn trotz einer Knieprellung und Rückenproblemen in der Vorbereitung weiterhin ein Eckpfeiler in der Wunschelf. Und Gündogan soll eigentlich Druck ausüben auf die etablierten Weltmeister. Im Mittelfeld kann der feine Techniker von Manchester City die offensiven und defensiven Positionen im Zentrum besetzen. Aber auch aktuell? Die Testspieleinsätze in Österreich (1:2) und gegen die Saudis (2:1) säten Zweifel. Gündogan scheint innerlich belasteter als Özil.
Dass Özil und Gündogan nach den klaren Unmutsbekundungen und auch Beleidigungen dem Druck nicht standhalten und sogar aus dem WM-Kader ausscheiden könnten, hält der DFB-Direktor für unwahrscheinlich: „Das Gefühl habe ich nach den Gesprächen nicht. Sie freuen sich auf die WM, sie freuen sich darauf, für Deutschland spielen zu können.“ Der Bundestrainer werde auch nicht auf sie verzichten: „Dafür gibt es keine Anzeichen.“ Allerdings könne die Verfassung der Spieler schon „ein kleiner Aspekt“ bei Löws Auswahl der Aufstellung sein.
Eigentlich hat(te) sich Gündogan viel vorgenommen für sein erstes richtiges Turnier. Bei der EM 2012 kam er nicht zum Einsatz. Die WM 2014 und die EM 2016 verpasste er wegen Verletzungen. Die WM in Russland soll(te) auch sein Sommer werden. Er wollte angreifen.
„Wir haben viele gute Spieler auf meiner Position. Gerade im zentralen Mittelfeld können wir die unterschiedlichsten Varianten spielen. Im Verlaufe des Turniers kann so viel passieren. Ich versuche einfach, im Training und im Spiel, wenn ich eingesetzt werde, mein Bestes zu geben“, sagte er in Südtirol.
Gündogan weiß, dass auf der Doppel-Sechs die Weltmeister Toni Kroos und Sami Khedira erste Wahl sind und vor ihm rangieren. „Klar erhofft sich jeder Spieler Einsatzzeit“, sagte Gündogan. „Ich habe aber auch keine Probleme, mich unterzuordnen, wenn ich nicht in der ersten Elf stehe.“ Die Teamkollegen wollen ihm bis zum ersten WM-Spiel gegen Mexiko am Sonntag in Moskau helfen, so gut sie können.
„Es ist schon hart für ihn. Ich bin jemand, der verzeihen kann, weil ich auch schon viele Fehler in meinem Leben gemacht habe“, sagte Mario Gomez und ergänzte: „Er hat nichts Böses getan im Sinn von, er hat niemandem wehgetan.“