In 90 Minuten vom Niemand zum „neuen Ribéry“: Griezmann
Ribeirão Preto (dpa) - Stars sehen anders aus. Sogar französischen Journalisten muss Antoine Griezmann noch erklären, wie sein Nachname richtig ausgesprochen wird:
Das „e“ sei bitteschön nicht stumm, meinte der 23-Jährige noch schnell vor seiner Pressekonferenz am Montag im WM-Quartier der Franzosen in Ribeirão Preto. Seine jugendliche Stimme klingt dabei schüchtern. Beim 3:0 im Auftaktmatch der „Les Bleus“ am Sonntag gegen Honduras war der schmächtige Flügelflitzer tags zuvor vom Niemand zum Star in spe avanciert.
Für viele Franzosen war Griezmann in seinem fünften Länderspiel der beste Mann auf dem Platz. „Was für ein Genuss!“, schrieb die Sportzeitung „L'Équipe“. Ex-Bayern-Profi Bixente Lizarazu staunte im Blatt über die „Unbekümmertheit“ des WM-Debütanten. In der Tat wirbelte der Profi des spanischen Erstligisten Real Sociedad San Sebastián die Mittelamerikaner im Beira-Rio-Stadion in Porto Alegre mit seiner exquisiten Technik und seinem sowohl physisch als auch gedanklich schnellen Spiel ein ums andere Mal durcheinander.
Die meisten Medienvertreter in Ribeirão sind überzeugt: „Griezmann ist der neue Ribéry.“ Vergleiche mit dem Star des FC Bayern, der wegen chronischer Rückenschmerzen seine WM-Teilnahme absagen musste, lässt der Vielgelobte aber nicht gelten. „Ich bin Antoine Griezmann.“ Wenn ihm jemand vor sechs Monaten gesagt hätte, dass er bei der WM in Brasilien dabei sein würde, hätte er entgegnet: „Du spinnst!“ Auf Twitter postete er nun: „Ein Kindheitstraum wird wahr“.
Griezmann war von Nationaltrainer Didier Deschamps erst am 27. Februar dieses Jahres erstmals in die A-Auswahl berufen worden. Beim überzeugenden 2:0 im Test gegen die Niederlande durfte er 68 Minuten mitmachen. Dann glänzte er gegen Norwegen (4:0) und schoss gegen Paraguay (1:1) und Jamaika (8:0) auch noch drei Tore. Da werden in der Grande Nation natürlich Erinnerungen an Ribéry wach, der kurz vor der WM 2006 in die Équipe gekommen war und beim Turnier in Deutschland die Welt - und die Bayern, die ihn ein Jahr später nach München holen sollten - auf sich aufmerksam machte.
Nachdem er mit Real Sociedad in der Saison 2012/13 den vierten Platz in der Primera División und damit die Qualifikation für die Champions League geschafft hatte, gelang Griezmann in der gerade abgelaufenen Spielzeit der große Durchbruch. Mit 16 Treffern belegte er hinter Auswahlkollege Karim Benzema von Real Madrid (17) Platz sechs in der spanischen Torjägerliste. Nach Medienberichten wird der fleißige Spieler, der nach dem Training schon mal vom Platz gescheucht werden muss, unter anderem von Real und von Paris Saint-Germain umworben.
Dabei hatte es der Mann aus der 33 000-Einwohner-Stadt Mâcon in der Region Burgund nicht leicht, Profifußballer zu werden. Vor zehn Jahren weigerten sich mehrere französische Topclubs, ihn in ihre Talentakademien aufzunehmen. Jugendtrainer von Olympique Lyon wiesen Griezmann als „zu klein und zu zierlich“ ab. Ein Talentspäher aus San Sebastián entdeckte ihn ein paar Monate später durch Zufall bei einem Jugendturnier in Paris, und so zog Klein-Antoine schon mit 13 ins spanische Baskenland, um seinen Traum zu verwirklichen.
Die Traumstory wurde indes von Jugendsünden überschattet. Griezmann war bis Ende 2013 ein Jahr lang gesperrt, weil er vor einer 3:5-Niederlage im EM-Playoff-Rückspiel der U-21 in Norwegen das Quartier des Teams in Le Havre mit drei Kameraden im Taxi verlassen hatte, um in einem Pariser Nachtclub zu feiern. „Ich gebe ihm Ratschläge, und er hört zu, er lernt“, verriet Benzema in Brasilien.