„Auf zur WM“ Kevin Kuranyi kehrt als TV-Experte nach Russland zurück

Stuttgart. Wenn Kevin Kuranyi von der Fußball-WM in Russland schwärmt, wirkt das fast so, als stehe der frühere Nationalspieler selbst im Kader der deutschen Mannschaft.

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Das größte Land der Erde habe viel zu bieten, die Menschen seien gastfreundlich, und überhaupt sei ein von manchen geforderter Boykott des Turniers der falsche Weg.

„Klar ist es politisch momentan schwierig. Aber genau deswegen kommt die WM zur richtigen Zeit“, sagt der 52-malige Nationalspieler. Sport bringe Menschen zusammen. „Und wenn man miteinander spricht, lassen sich viele Dinge klären“, meint der Ex-Stürmer von Dynamo Moskau.

Nach dem Karriereende 2017 arbeitete er von Stuttgart aus im Sportmanagement. Für die ARD kehrt der Wahl-Schwabe jetzt als WM-Experte ins Riesenreich zurück. In seinen Schilderungen über Russland versucht Kuranyi, Klischees von Wodka, Bären und ewigem Winter zu meiden. Aber natürlich fehlt es nicht an Anekdoten.

Augenzwinkernd erzählt er etwa, wie die Mannschaft den Begriff Schusstraining wörtlich nahm und auf einem Schießstand mit Pistolen feuerte. „Ich habe mich gefragt, ob ich bei einem Fußballclub unterschrieben habe oder bei einem Schützenverein“, sagt der 36-Jährige. Insgesamt sei das aber keine wirklich große Sache gewesen. „Es war okay. Wir haben ja nicht aufeinander geschossen.“

Kuranyi war 2010 vom FC Schalke 04 nach Moskau gewechselt. Rund 5,7 Millionen Euro im Jahr soll der Vize-Europameister von 2008 in Russland verdient haben. 2015 dann der Abschied aus dem Land, in dem Ball und Rubel rollen. Vor den Schattenseiten, etwa Hooligans und Rassisten im Stadion, habe er nie die Augen verschlossen, erzählt er.

„Diese Leute machen den Sport kaputt und gehören nicht ins Stadion. Ich hoffe, dass es bei der WM nicht zu solchen Vorkommnissen kommt. Das wird ganz wichtig sein für das Bild Russlands“, sagt Kuranyi.

Trotz 50 Kuranyi-Toren gewann Dynamo Moskau in den fünf Jahren keinen Titel, dafür war die Übermacht der finanzstarken Clubs ZSKA Moskau und Zenit St. Petersburg zu groß. Aber Kuranyi war 2012 zum Dynamo-Kapitän und damit als erster Deutscher zum Spielführer eines russischen Fußballprofiteams ernannt worden - ein Beweis für die große Wertschätzung, die er bei Mitspielern und Betreuern genoss.

Einer seiner Trainer bei Dynamo war Stanislaw Tschertschessow, heute Coach der russischen Nationalmannschaft. „Er ist ein harter Trainer mit gutem Fußballverständnis. Ein Profi in seinem Geschäft“, erzählt Kuranyi. Tschertschessow werde die Mannschaft auf die schwierige Heim-WM perfekt einstellen. „Er ist eine Respektsperson, zu dem Spieler aufschauen. Das hilft, die Mannschaft gut vorzubereiten.“

Russlands Fußball sei professioneller geworden, meint der Angreifer. „Anfangs war es gemütlicher und anders, als ich es gewohnt war. Da wurde am Abend vor dem Spiel zum Beispiel deftig gegessen. Aber es ist besser geworden.“ Zu seiner Zeit habe er jedoch einen gewissen Teamspirit vermisst. „Wenn die russische Mannschaft lernt, eine Einheit zu sein, zusammenzuhalten, und dass jeder für den anderen kämpft, haben die das Talent, weiterzukommen“, ist er sicher.

Bei rund 10.000 Zuschauern liegt der Ligaschnitt in Russland derzeit. Eishockey ist klar die Nummer Eins. Eine Weltmeisterschaft könne aber viel ändern, meint Kuranyi. „Es kann sein, dass die Stadien danach voll werden. Es wird beim Turnier eine ganz andere Atmosphäre herrschen als beim normalen Ligaspiel. Vielleicht kann die WM die Menschen dazu bringen, öfter ins Stadion zu gehen, auch mit Familie.“

Dass immer wieder Stars wie Hulk, Samuel Eto'o und Roberto Carlos in Russland spielen, findet Kuranyi gut. „Dann lernen russische Spieler, sich durchzusetzen. Ich würde mich natürlich freuen, wenn mehr Russen im Ausland spielen würden.“ Allerdings seien manche Engagements nicht sehr erfolgreich verlaufen, räumt er ein. „Manche Vereine trauen sich bei solchen Rückschlägen nicht, russische Profis für viel Geld zu verpflichten. Aber es gibt genug Spieler, die es schaffen würden.“

Die politische Diskussion über einen „neuen kalten Krieg“ zwischen Ost und West verfolgt Kuranyi mit Sorge. „Von dem Streit sollte man sich aber nicht beeinflussen lassen“, appelliert er. Fans sollten zum Turnier fahren. „Auf zur WM! Man wird ein ganz anderes Russland kennenlernen - und sich freuen, dass man diesen Schritt gewagt hat.“ dpa