Klinsmann bei der WM: Sommermärchen auf amerikanisch

Jürgen Klinsmann scheint mit dem US-Team das zu wiederholen, was ihm 2006 als Bundestrainer gelang.

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Düsseldorf. Jürgen Klinsmann rastet an der Seitenlinie aus, jubelt, schmeißt sich seinen Spielern an den Hals, geht jede Minute, jede Aktion mit. Die Bilder des US-Trainers wecken Erinnerungen. Schöne Erinnerungen. An etwas, was als Sommermärchen bei vielen hängengeblieben ist. Es ist 2006, die deutsche Heim-WM. Klinsmann tritt mit einer Mischung aus jungen Wilden und erfahrenen Recken an. Doch den Titel traut den Jungs vor dem Turnier keiner zu. Zwei Spiele später ist das plötzlich anders. Plötzlich steht eine Mannschaft auf dem Platz, die daran glaubt, das Unmögliche schaffen zu können, und dies auch glaubwürdig auf den Rasen bringt. 2006 ist es Deutschland, 2014 ist es die USA. Die Geschichte scheint sich zu wiederholen.

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Der Bäckersohn aus dem Schwäbischen hat es mit dem 2:1-Sieg gegen Ghana und dem großen Kampf beim 2:2 gegen Portugal wieder geschafft, ein Land ins Fußballfieber zu versetzen. Wer die Bilder der amerikanischen Fans im Stadion oder bei großen Public Viewing-Veranstaltung in den US-Metropolen sieht — im Grant-Park von Chicago wurde bereits 30 Minuten vor Anpfiff die Kapazitätsgrenze von 20 000 Zuschauern erreicht — kann kaum glauben, dass Soccer in den USA Randsportart ist. Selbst Präsident Obama twitterte schon Grüße an die US-Boys. Vizepräsident Joe Biden bedankte sich in einem persönlichen Schreiben bei Trainer Jürgen Klinsmann für die gezeigte Leistung des Teams. Die USA ist eine der Überraschungen der WM, auch dank Klinsmann. Zwar kann man die Voraussetzungen und auch die Mannschaften von DFB und US-Verband nicht vergleichen. Aber die Grundidee, die Spielweise, die Klinsmann den Amerikanern vermittelt, ist eine Kopie des Sommermärchens: Hohe Laufbereitschaft bis zur Erschöpfung, schnelles Umschaltspiel und vor allem — nie aufgeben.

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Nun hat der beim FC Bayern in der Bundesliga Gescheiterte sein Endspiel um den Gruppensieg. Ausgerechnet gegen sein Ex-Team. Von möglichen Absprachen mit seinem ehemaligen Assistenten und Freund Joachim Löw will „Klinsi“ aber nichts wissen, auch wenn ein Unentschieden beiden zum Erreichen des Achtelfinales reichen würde. „Wir fahren nach Recife mit dem Selbstvertrauen, um Deutschland zu schlagen“, sagt er. Es sei keine Zeit für Freundschaftsanrufe, jetzt gehe es ums Geschäft. „Wir sind nicht gemacht für Unentschieden.“

„Wir“, sagt Klinsmann und meint das auch so. Natürlich trägt er die Teamkleidung mit dem Wappen des US-Verbandes, er singt vor dem Spiel auch die amerikanische Hymne mit Inbrunst. Identifikation, Hingabe, Aufopferung für das große Ziel. So funktioniert das System Klinsmann, in dem jeder über sich hinauswachsen kann. Seine gegen Portugal von Wadenkrämpfen geplagten Spieler haben es verstanden. Diese Idee fällt bei den notorisch optimistischen Amerikanern auf fruchtbaren Boden. Schwäbischer Realismus käme weniger gut an. Das bekam der Trainer zu spüren, als er einen Titelgewinn der USA als „Utopie“ bezeichnet hatte. Der Gegenwind war heftig, doch Klinsmann hat längst in Rückenwind gedreht. Und sein Projekt hat in den USA erst angefangen — Klinsmanns Projekt.