Messi und Co. wollen aus Maradonas Schatten
Rio de Janeiro (dpa) - Lionel Messi schottet sich komplett ab vor dem Spiel seines Lebens. Es gibt keine Kampfansagen an den Final-Gegner Deutschland, keine Versprechen an 40 Millionen Argentinier und auch das letzte Training vor dem Abflug nach Rio fand hinter verschlossenen Türen statt.
Es ist auch vor dem WM-Endspiel gegen Deutschland am Sonntag (21.00 Uhr MESZ) wie so häufig bei den Argentiniern: Der offizielle Kapitän schweigt, der heimliche spricht aus, was alle denken. „Das ist die Chance, von der wir unser Leben lang geträumt haben“, meinte Javier Mascherano. „Diese Chance kommt vielleicht nur einmal in unserem Leben, also werden wir alles versuchen.“
Die von Messi vorgelebte Konzentration wurde allerdings zwei Tage vor dem großen Finale erheblich gestört. Denn laut Medienberichten wird Argentiniens Nationaltrainer Alejandro Sabella seinen Posten nach dem Spiel gegen Deutschland aufgeben. „Er geht. Was auch immer passiert, Sabella wird die Nationalmannschaft verlassen. Mit oder ohne Titel geht ein Zyklus zu Ende“, sagte Sabellas Berater Eugenio Lopez der Sportzeitung „Olé“. Es ist eine Unruhe zur Unzeit für Messi und Co.
Allerdings ist die Aufgabe so groß, das Spiel so bedeutend für den vermeintlich besten Fußballer der Welt, dass er sich davon kaum wird ablenken lassen. Messi will endgültig raus aus dem Schatten von Diego Maradona und auf ewig hinein in die Herzen von 40 Millionen Landsleuten. Denn völlig unumstritten war der 27-Jährige, der schon im Alter von 13 Jahren zum FC Barcelona wechselte, in seiner Heimat noch nie. Er gewann dreimal die Champions League und viermal die Wahl zum „Weltfußballer des Jahres“ - aber eben noch nie den WM-Titel. „Ich würde alle meine persönlichen Rekorde hergeben, um Weltmeister zu werden“, sagte Messi schon vor dem Turnier. Es geht am Sonntag also auch um die Krönung einer großen, aber noch unvollständigen Karriere.
Bei seinen bisherigen Anläufen 2006 und 2010 scheiterte Argentinien jeweils im Viertelfinale - an Deutschland. Der große Maradona dagegen hat diesen Titel geholt. 1986 gewann seine Generation in Mexiko das erste deutsch-argentinische WM-Finale mit 3:2, vier Jahre später verlor sie bei der WM 1990 das zweite mit 0:1. Daran muss sich seitdem jeder Spieler in Argentinien messen lassen - was den Druck auf Messi zusätzlich erhöht.
Maradona hat als Trainer-Amateur bereits das WM-Desaster von 2010 gegen Deutschland (0:4) zu verantworten, nun gab er der Mannschaft vor dem Finale erneut einige ungebetene Ratschläge. „Deutschland ist nicht unbesiegbar. Sie sind, wie wir sagen, überhöht“, meinte er in der TV-Sendung „De Zurda“. „Argentinien müsste Deutschland im Mittelfeld zusetzen, den Ball erobern und von dort Messi bedienen“. Das Einzige, was ihm Angst mache, sei, dass Messi erschöpft sein könnte, sagte Maradona.
In Argentinien teilt dieses Optimismus ansonsten kaum jemand. Der Respekt vor den Deutschen ist spätestens seit dem 7:1-Sieg gegen Rekord-Weltmeister Brasilien enorm. „Deutschland hat ein großartiges Team. Das, was da am Dienstag mit Brasilien passiert ist, kann jeder anderen Mannschaft genauso passieren. Wenn sie Platz haben, sind sie tödlich“, sagte Stürmer Sergio Agüero von Manchester City. Trotz eines Messi, eines Mascherano oder eines Gonzalo Higuaín ist der zweimalige Weltmeister wohl noch nie aus einer derartigen Außenseiter-Position in ein Spiel gegen Deutschland gegangen.
Deshalb hoffen im argentinischen Lager alle, dass Champions- League-Sieger Angel di María von Real Madrid im Finale doch noch als wichtige Unterstützung für Messi zum Einsatz kommt. Der schnelle und dribbelstarke Offensivspieler zog sich im Viertelfinale eine Muskelverletzung im Oberschenkel zu, absolvierte am Donnerstag und Freitag aber schon wieder Lauf- und Sprinttraining. Auch Di María gehört zu den insgesamt acht Spielern im aktuellen Kader, die bereits 2010 beim WM-Aus gegen Deutschland dabei waren.
Allerdings hat die aktuelle argentinische Mannschaft nicht mehr viel mit der taktisch völlig unbedarften Elf von 2010 gemeinsam. Was die Organisation und das Zusammengehörigkeitsgefühl angeht, hat Maradonas Nach-Nachfolger Sabella dieses Team auf ein anderes Niveau geführt. Es hat mittlerweile eine „Balance“, hebt der Trainer gern hervor. „Unser erster Verteidiger spielt im Sturm und umgekehrt.“ Auch Messi betonte während der WM: „So viel Team war Argentinien noch nie.“ Zusammen mit 20 000 bis 30 000 Fans im Maracanã könnte das am Sonntag ein wichtiger Faktor sein.
Der Mann für die emotionalen Botschaften bei den Argentiniern ist Mascherano. Vor dem Elfmeterschießen gegen die Niederlande zog er Torwart Sergio Romero beiseite, der kurz darauf zum Helden des Halbfinals wurde. Diesmal sagte Mascherano: „Zwei Generationen haben Argentinien nicht in einem WM-Finale sehen können. Jetzt sind die Augen der Welt wieder auf unser Land und unsere Fahne gerichtet.“