„Tag des Scheiterns“ - Italien nach K.o. vor Neustart
Natal (dpa) - Italiens Fußball liegt in Trümmern. Die WM-Versager versuchten erst gar nicht, das Desaster schönzureden, die schonungslose Abrechnung nach dem Vorrunden-Aus war überfällig.
Egal ob Schiedsrichter, Klima, Team oder seine Landsleute: Nationalcoach Cesare Prandelli schimpfte nach dem krachenden WM-Scheitern des viermaligen Weltmeisters auf alles und jeden - und zog direkt die Konsequenzen. „Ich übernehme die sportliche Verantwortung“, erklärte ein wütender und verbitterter Prandelli nach der 0:1-Niederlage gegen Uruguay und kündigte wie Verbandspräsident Giancarlo Abete seinen Rücktritt an. Italiens Fußball steht vor einem radikalen Neuanfang.
Und auch am Tag nach der Pleite, die für Italien nach 2010 den zweiten WM-Vorrunden-K.o. in Serie besiegelte, gingen die Attacken weiter. Besonders in der Kritik stand Stürmer Mario Balotelli, der seinen Landsleuten daraufhin Rassismus vorwarf. „Die Afrikaner würden nie einen ihrer „Brüder“ beschuldigen. In dieser Sache sind wir Neger, so wie ihr uns nennt, euch Lichtjahre voraus“, erklärte er.
Nach dem blamablen K.o. fährt mit Italien nach Spanien und England die dritte europäische Fußball-Großmacht frühzeitig nach Hause. „Das ist ein Tag des Scheiterns“, konstatierte Kapitän Gianluigi Buffon, der vielleicht sein letztes Länderspiel bestritten hat. „Wir sind mit der harten Realität konfrontiert worden.“ Die heimische Presse urteilte gnadenlos. „Azurblaues Desaster. Ein hässliches Italien verabschiedet sich vom WM-Traum. Unser Fußball ist wie ein Ball, dem die Luft ausgeht. Alles muss sich ändern“, schrieb „La Repubblica“. „Tuttosport“ sah die Nationalelf „im Chaos“, der „Corriere della Sera“ erklärte den K.o. sogar zu einem „nationalen Fall“.
Die Schuld für ihr WM-Aus sahen die Azzurri auch beim Schiedsrichter. „Es ist absurd, so eine Partie zu zehnt zu beenden. Es gab keine bösartigen Fouls“, kritisierte Prandelli die Rote Karte für Claudio Marchisio (59.) wegen groben Foulspiels. „Man kann ein Spiel nicht so beeinflussen, der Schiedsrichter hat die Partie ruiniert.“ Der Unparteiische Marco Rodríguez aus Mexiko hatte zudem eine Beißattacke von Uruguays Luis Suárez gegen Giorgio Chiellini nicht geahndet, was Italien endgültig erzürnte. „Es war lächerlich, Suárez nicht vom Platz zu stellen. Es war eindeutig“, schimpfte Chiellini.
Und auch das Wetter trug aus Sicht der Italiener, die bereits seit Wochen über die Hitze in Brasilien lamentieren, zu dem blamablen Aus bei. „Wir waren die einzige Mannschaft, die in Manaus gespielt hat und zweimal um 13 Uhr“, klagte Prandelli, aber weder die Schiedsrichter-Schelte noch das Lamentieren über das Klima konnten von den zahlreichen Schwachstellen des Teams und der maroden Fußball-Kultur und Struktur generell in Italien ablenken. Denn das Scheitern der Nationalelf ist nur ein Symptom der tiefen Krise des italienischen Fußballs, der seit Jahren mit maroden Stadien, Korruption und fehlender internationaler Wettbewerbsfähigkeit kämpft.
„Wir hatten nicht viele Torchancen, vielleicht lag das an unseren technischen Grenzen oder an der fehlenden Qualität“, erklärte Prandelli ohne Zögern. Sein totales Vertrauen in den enttäuschenden Angreifer Balotelli wurde nicht erfüllt. Prandelli, der seinen Vertrag erst im Mai bis 2016 verlängert hat, scheint die heftige Kritik in seinem Heimatland nach seiner Gehaltserhöhung mit dem neuen Vertrag schwer getroffen zu haben. „Sie haben begonnen, uns zu attackieren, als ob wir eine politische Partei wären“, kritisierte er. „Aber ich habe nie jemandem Geld gestohlen.“ Einmal in Fahrt teilte der 56-Jährige weiter aus und warf seinen Landsleuten vor: „Wir haben keinen Sinn für Patriotismus.“
Auch innerhalb des Teams brodelte es gewaltig. Während der junge Marco Verratti unter Tränen eine „einmalige Chance“ beweinte und sich Balotelli schweigend und allein in den Mannschaftsbus zurückzog, attackierten die Routiniers Buffon und Daniele De Rossi ihre Teamkollegen. „Man hört immer wieder, dass es einen Wandel braucht, dass Pirlo, Buffon, Barzagli und De Rossi alt sind. Aber wenn es darum geht, den Karren aus dem Dreck zu ziehen, stehen genau diese Spieler immer in der ersten Reihe“, schimpfte Buffon.
Und der verletzt fehlende De Rossi pflichtete ihm bei: „Wir älteren Spieler verkörpern die richtige Einstellung und es stimmt auch, dass wir uns den Problemen immer stellen. Wer nicht mit der Einstellung antreten will, wer nicht die gleiche Leidenschaft hat, bleibt zu Hause.“ Erst zwei Stunden nach Spielschluss verließen die Profis gemeinsam die Kabine, nachdem Mittelfeld-Regisseur Andrea Pirlo nach seinem wohl letzten Auftritt für die Nationalelf eine Ansprache gehalten hatte. Ein Neustart auch im Team ist unausweichlich.