Kolumne von Toni Schumacher Toni Schumacher zu den Aufräumarbeiten von 1982: „Ich war für den West-Block zuständig“

Toni Schumacher schreibt in seiner Kolumne über die Auftaktniederlage der Deutschen Mannschaft und wieso er keiner der Experten mit erhobenen Zeigefingern sein möchte.

16.06.1982: der algerische Mittelfeldspieler Lakhdar Belloumi (l) schießt in der 69. Minute das 2:1 gegen Deutschland. Paul Breitner (M) und Harald "Toni" Schumacher (l) haben das Nachsehen. Die deutsche Fußballnationalmannschaft verliert im Molinon-Stadion in Gijon das erste Gruppenspiel der Weltmeisterschaft gegen Algerien.

Foto: Wolfgang Weihs

Erinnern Sie sich noch genau an unsere Niederlage vor 36 Jahren gegen Algerien? Ich auch nicht — und ich war dabei. Seit Tagen werde ich auf unsere Auftaktniederlage bei der Weltmeisterschaft 1982 in Spanien angesprochen, verbunden mit der Bitte, einen Vergleich zur aktuellen Situation des deutschen Teams zu ziehen. Aber da muss ich die Fragesteller enttäuschen: Ich möchte keiner der Experten mit erhobenem Zeigefinger sein, die aus der Ferne Jogi Löw und seinem Team irgendwelche Ratschläge erteilen oder gar über sie herfallen.

Es liegt auf der Hand, dass man ein Auftaktspiel in einer Vierergruppe bei einem Turnier möglichst nicht verlieren sollte. Und dass man, wenn es doch passiert, das zweite Spiel unbedingt gewinnen muss. Alle in der Mannschaft wissen das. Ich kann über Interviews und diese Kolumne leider nichts dazu beitragen, dass es gelingt.


Eine Kolumne von Toni Schumacher.

Bis darauf, dass wir damals tatsächlich die bis 2018 letzte deutsche Mannschaft waren, die ein Auftaktspiel bei einer WM verloren hat, ist die Situation nicht mit der von heute zu vergleichen. Wir waren weder amtierender Weltmeister, noch war man in Deutschland von der Nationalmannschaft zu jener Zeit besonders begeistert. Im Gegenteil: Die Niederlage gegen Algerien war der Tropfen, der ein ohnehin randvolles Fass zum Überlaufen brachte. Wir waren kein echtes Team zu diesem Zeitpunkt und hatten eine schlechte Vorbereitung am Schluchsee hinter uns — das Wort vom „Schlucksee“ und die Hintergründe standen ja später auch in meinem Buch „Anpfiff“. Bundestrainer Jupp Derwall stand gewaltig unter Druck und unser Kredit als Mannschaft war bereits aufgebraucht, bevor das Turnier überhaupt begann. Zudem war Algerien, bei allem Respekt, nicht mit Mexiko 2018 zu vergleichen — die Algerier waren trotz ihres Superstars Madjer Fußball-Niemandsland und gegen uns krasser Außenseiter. Entsprechend gingen wir in die Partie. Eine Niederlage war undenkbar.

Auch wenn ich mich an den Spielverlauf und die Gegentore kaum erinnern kann, weiß ich noch, wie damals die Reaktionen waren, als diese Niederlage dann doch passierte. Nämlich heftig. Ich glaube, es gab sogar ein Plakat, auf dem stand: „Gagen runter! Arroganz weg!“ Man sieht, dass es bestimmte Vorwürfe der Fans gegenüber Fußballprofis nicht erst seit ein paar Jahren gibt — und wir haben damals definitiv keine Millionen verdient. Eine derartige Welle der Kritik wie heute, die sofort übers Smartphone bei jedem Spieler landet, mussten wir seinerzeit trotzdem nicht ertragen. Die Heimat war 1982 noch deutlich weiter weg, die kritischen Artikel erreichten uns per Fax und wenn ich mich recht erinnere, wurde da auch einiges abgefangen, bevor wir es zu lesen bekamen.

Jedenfalls führte die Niederlage gegen Algerien dazu, dass wir als Mannschaft zusammengerückt sind. Paul Breitner bekam seine Münchner in den Griff, ich war für den West-Block zuständig. Und danach haben wir Chile 4:1 geschlagen und kamen bis ins Finale. Und zwar nicht, weil ein großer Superstar uns dorthin führte, sondern weil wir zu einem Team geworden sind und in jedem Spiel ein anderer für die entscheidenden Szenen gesorgt hat.

Für mich ist das nach wie vor die große Stärke der Deutschen. So gerne ich Superstars wie Ronaldo oder Messi zuschaue, so sehr sieht man auch, wie abhängig ihre Teams von ihnen sind. Und wenn sie einen schlechten Tag haben oder nicht absolut fit sind, leidet die gesamte Mannschaftsleistung darunter, weil alle sich hinter dem großen Star verstecken. Das funktioniert in einem Mannschaftssport auf Dauer nicht. Genau deshalb schätze ich Spanien und Frankreich bei dieser WM so stark ein.

Soweit ich es aus der Ferne beurteilen kann, sind unsere Jungs ein echtes Team. Das Gute an einem Turnier ist ja, dass man sich nicht aus dem Weg gehen kann und Probleme sofort ansprechen muss. So ist es ja in Moskau passiert. Intern wurde nach dem Spiel gegen Mexiko Tacheles geredet, nach außen halten alle zusammen. Deshalb bin ich nach wie vor sehr zuversichtlich, was das Spiel gegen Schweden betrifft.

Außerdem, und das sei mir als Vizepräsident des 1. FC Köln erlaubt: Am Samstag ist Jonas Hector wieder dabei.