Van Gaals Geniestreich mit Elfmeterkiller Krul
Salvador (dpa) - Nachdem er den entscheidenden Ball pariert hatte, rannte Elfmeterheld Tim Krul mit weit von sich gestreckten Armen über den Rasen der Arena Fonte Nova und wurde von seinen Teamkollegen in einer orangenen Spielertraube begraben.
Mastermind Louis van Gaal riss vor der Trainerbank die Hände in die Höhe und genoss die Huldigungen seines Betreuerstabes. Mit dem ersten Torwartwechsel vor einem Elfmeterschießen in der WM-Geschichte gelang van Gaal am Samstagabend nach torlosen 120 Minuten beim 4:3 gegen Costa Rica der entscheidende Geniestreich, durch den Oranje weiter vom ersten Weltmeistertitel seiner Historie träumen darf.
„Goldener Griff von van Gaal“, titelte „De Telegraaf“ auf seiner Homepage und befand treffend: „Van Gaal übertrifft sich selbst“. Für die Tageszeitung „Volkskrant“ war es einfach das „Meisterstück von van Gaal“, dank dem die Niederlande nun am Mittwoch (22.00 Uhr MESZ) in São Paulo gegen Argentinien um den erneuten Einzug ins Endspiel spielt. „Ich denke, dass wir durchaus Chancen gegen Argentinien haben“, sagte van Gaal, dem in Brasilien einfach alles zu gelingen scheint. Bereits in den Partien zuvor hatte er mehrfach mit Wechseln für den Erfolg gesorgt.
Mit der Einwechslung von Krul für den davon wenig begeisterten Jasper Cillessen gelang dem früheren Bayern-Trainer in Salvador sein bisheriger Königsschachzug bei dieser WM. „Jeder im Team hat besondere Qualitäten. Und wir fanden alle, dass Tim der beste Keeper wäre, um Elfmeter zu halten. Er hat eine große Reichweite“, sagte van Gaal über seine ungewöhnliche Aktion. „Ich bin ein bisschen stolz, dass das alles so geklappt hat.“
Wer den extrem selbstbewussten van Gaal kennt, der weiß, dass diese Aussage als das größte Understatement in die Geschichte der Fußball-WM eingehen dürfte. Der 62-Jährige genoss seinen aufgegangenen Plan sichtlich, als er nach der Partie über den Rasen schritt. Fast majestätisch winkte er in Richtung Ehrentribüne, bei der Pressekonferenz war die Brust noch ein bisschen weiter nach vorne gestreckt als ohnehin üblich. „Wir haben Costa Ricas Elfmeter studiert und trainiert“, berichtete van Gaal von seiner wie immer peniblen Spielvorbereitung.
Dass der Plan nicht ungefährlich war, räumte er ein. „Wenn es schiefgegangen wäre, hätten mich alle für verrückt erklärt.“ Im DFB-Pokal hatte der damalige Nürnberg-Trainer Hans Meyer 2007 im Achtelfinale gegen Hannover 96 ebenfalls in Daniel Klewer für Raphael Schäfer den späteren Matchwinner im Elfmeterschießen gebracht. Ein solcher Wechsel kann aber auch schiefgehen, wie Fürths Trainer Mike Büskens 2012 erleben musste. Wenige Minuten vor Ende der Verlängerung des Pokal-Halbfinals gegen Borussia Dortmund wechselte er Jasmin Fejzic für Max Grün ein. Fejzic kassierte kurz darauf aber das 0:1 und machte dabei eine unglückliche Figur.
Doch van Gaal hat einfach ein glückliches Händchen. Mit Krul, der bei Newcastle United gerade einmal zwei von 20 Elfmetern gehalten hatte und deswegen nicht unbedingt im Ruf des Elfmetertöters steht, hatte er den Plan im Vorfeld bereits besprochen. Stammkeeper Cillessen war dagegen nicht eingeweiht. „Das wäre enttäuschend für ihn gewesen“, sagte der Bondscoach, der möglicherweise im weiteren Turnierverlauf doch noch auf Trainingsrückkehrer Nigel de Jong setzen kann.
Cillessen, der die drückend überlegenen Niederländer in der 117. Minute mit einer Glanztat gegen Marcos Urena überhaupt erst ins Elfmeterschießen gebracht hatte, war dementsprechend sauer. Bei seiner Auswechselung trat er wütend eine Trinkflasche um, später entschuldigte er sich aber bei der Mannschaft für seinen Gefühlsausbruch. „Ich war im ersten Moment verärgert“, gestand der Ajax-Keeper, der in seiner Karriere allerdings noch nie einen Elfmeter abwehren konnte. Nach dem Einzug ins Halbfinale war der Frust bei ihm aber wieder verflogen, gegen Argentinien wird er wieder spielen. „Jasper macht es bislang hervorragend, es besteht überhaupt kein Grund, hier einen Wechsel vorzunehmen“, sagte van Gaal.
Matchwinner Krul blieb in der Stunde seines großen Triumphes bescheiden. „Das Geheimnis ist es, lange stehen zu bleiben“, sagte der 26-Jährige. Seine eigene Heldenrolle trübte Krul selbst ein wenig, weil er vor den Elfmetern der Costa Ricaner Psychospielchen mit den Schützen spielte. Der usbekische Schiedsrichter Ravshan Irmatov ermahnte den Torhüter. Die Zentralamerikaner nahmen ihm die Mätzchen indes nicht übel. „Das gehört dazu“, sagte der Mainzer Junior Diaz.
Krul selbst verteidigte sich am Tag darauf. „Ich habe nichts Falsches gemacht, ich habe sie nicht in aggressiver Art angeschrien“, erklärte er vor dem Training in Rio de Janeiro. „Ich habe ihnen nur gesagt, dass ich weiß, wohin ihr Schuss geht. Ich habe versucht, in ihren Kopf zu kommen und sie psychologisch fertigzumachen.“ Für seine Teamkollegen war Krul sowieso der Held. „Jedes Lob für ihn, er hat es fantastisch gemacht“, sagte Arjen Robben.