WM 2018 in Russland WM-Mission mit Genuss - Löw: „Es muss einfach alles passen“

Frankfurt (dpa) - Es geht los, der Chef ist bereit. Am 12. Juni um 13.00 Uhr hebt der DFB-Charterflieger in Frankfurt am Main mit großen Hoffnungen, aber auch einigen Zweifeln an Bord zur WM nach Russland ab.

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Joachim Löw sieht das deutsche Fußball-Nationalteam vor seinem sechsten großen Turnier als Bundestrainer auch nach den schwachen Auftritten in der WM-Vorbereitung weiter als einen Topfavoriten auf den Titelgewinn in Russland. „Wenn wir die Dinge im Detail gut umsetzen, dann haben wir Stärken und sind für jeden Gegner extrem unbequem“. Andererseits mahnte der Weltmeister-Coach im Interview der Deutschen Presse-Agentur seine 23 WM-Fahrer deutlich: „Wenn wir so viele kleine Fehler machen, sind wir nur eine durchschnittliche Mannschaft.“

Die 1:2-Niederlage gegen die nicht für Russland qualifizierten Österreicher, das maue 2:1 gegen den krassen WM-Außenseiter Saudi-Arabien und die Missstimmung um das Treffen von Mesut Özil und Ilkay Gündogan mit dem türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan haben eine neue Aufbruchstimmung bei den besten deutschen Fußballern und ihren Fans bisher verhindert. Löw will nicht ausschließen, dass so ein Spiel wie gegen Österreich auch mal bei dieser WM passieren kann. „Sowas kann immer passieren. Wir müssen verinnerlichen, dass es in erster Linie von uns abhängt“, betonte der Bundestrainer.

Schlendrian und eine längere Anlaufzeit in der Vorrunde mit den unangenehmen Kontrahenten Mexiko, Schweden und Südkorea kann sich der viermalige Titelträger nicht leisten. „Die Gegner werden gegen uns ganz andere Qualitäten in die Waagschale werfen - große Motivation, Kampf. Deshalb muss in jedem Spiel die Konzentration hoch sein, wir müssen von Anfang an hellwach sein und an unsere Leistungsgrenze kommen“, forderte Löw. „Es muss einfach alles passen“, sagt der 58-Jährige zum hoch gesteckten Ziel Titelverteidigung.

Löw sieht sich gerüstet, seine Führungsqualitäten werden ab dem ersten Spiel am Sonntag im Moskauer Luschniki-Stadion wieder mehr gefragt sein als zwischen EM und WM. „Was ich gelernt habe aus Turnieren: Es gibt Situationen, die sind nicht vorhersehbar. Man muss auf alle Eventualitäten eingestellt sein und flexibel reagieren. Aus der Erfahrung heraus, intuitiv“, erklärte der Südbadener. Dabei sei zugleich bedeutend: „Unseren roten Faden verlassen wir nie.“

Auch die Mannschaft um noch neun Weltmeister von Brasilien vor vier Jahren setzt auf Löws besondere Fähigkeiten als internationaler Turniercoach. „Er bekommt es so hin durch seine Persönlichkeit und Kommunikation, dass jeder ihm folgt. Dass auch jeder auf ihn hört. Er gibt den Spielern aber auch das Gefühl, dass man mit ihm reden kann und dass auch gewisse Hinweise angenommen werden“, beschrieb Routinier Sami Khedira das Verhältnis zum Trainer.

Seine Routine aus zwölf Jahren als wichtigster Fußball-Lehrer des Landes sieht Löw dabei als Trumpf, nicht als Gefahr. „Nein, dieses Risiko sehe ich nicht. Es gibt bei uns keine Routine, es gibt Erfahrung. Wir versuchen das, was wir seit Jahren machen, mit neuen Einflüssen zu mischen“, betonte der Chefcoach, der vom DFB bereits mit einem Vertrag bis zur WM 2022 in Katar ausgestattet wurde. „Ich bin überzeugt von unserer Idee. Die passt gut zu unserer Mannschaft und den Spielertypen“, sagte Löw trotz der jüngsten Stimmungsdämpfer.

Je näher der Anstoß rückt, umso mehr wird die Euphorie um die deutschen Stars zwischen Flensburg und Garmisch-Partenkirchen wieder steigen. Löw gilt für viele schwarz-rot-goldenen Fans für (hoffentlich) fünf Wochen dann wieder als wichtigster Mann des Landes. „Es gibt noch weitaus wichtigere Positionen und Menschen als mich. Das weiß ich schon richtig einzuschätzen“, bemerkte Löw mit einem Lächeln: „Aber ich weiß, was Sie meinen: Bei jedem Turnier steht unsere Mannschaft in einem besonderen Fokus. Man hat das Gefühl, dass die ganze Nation zusammensteht und sich an der Mannschaft erfreuen will.“

Erfreuen will sich die Nation aber vor allem am sportlichen Erfolg. Der, so vermittelte der Bundestrainer, hänge auch an Kleinigkeiten, je weiter das Turnier fortschreite. „Da entscheiden wieder Details, auch ein bisschen Glück, manchmal der Schiedsrichter oder schlechte Tagesform.“ Druck von außen empfinde er nicht: „Ich genieße es, es gibt nichts Schöneres als eine WM und die Fifty-fifty-Spiele. Da bin ich so entspannt, wie es irgendwie sein kann. Ich freue mich an Wettkämpfen. Da fühle ich mich energiegeladen.“

Löw weiß um die besonderen Bedingungen in Russland, sowohl sportlich als auch außerhalb der Stadien. „Reisen, Verkehr, das alltägliche Leben - von all dem dürfen wir uns nicht ablenken lassen. Es gibt kein Lamentieren, keine Ausreden“, sagte der Bundestrainer nach den Erlebnissen beim Confed-Cup-Sieg im Vorjahr.

Was er besonders erfahren habe: „Die russische Seele, die russische Bevölkerung ist sehr deutsch-freundlich. Das finde ich angesichts der Schwere der Geschichte schon bemerkenswert, dass die Russen uns gegenüber keine Vorbehalte zu haben scheinen, sondern uns offen und freundlich entgegentreten“, sagte Löw: „Das ist die Ebene, auf der wir uns bewegen sollten: auf die Menschen zuzugehen. Und uns als Mannschaft präsentieren, die gerne da ist.“