Drei unvergessliche Minuten

Zweimal gleicht der WSV aus. Der Goliath wackelt, aber er fällt nicht – Wuppertal schreibt gegen Bayern dennoch Pokalgeschichte. FOTOS vom SPIEL

Wuppertal. Was für ein verrücktes, sensationelles Fußballspiel. Trotz der 2:5 (2:2)-Niederlage gegen den FC Bayern München hat der Wuppertaler SV gestern Abend in der ausverkauften Schalke Arena ein Kapitel Pokalgeschichte geschrieben. 45 Minuten lang bot der Regionalligist weit mehr als nur das versprochene Spektakel. Der Ausgleich zum 1:1 durch Tobias Damm, der erneute Ausgleichstreffer von Mahir Saglik zum 2:2, dazwischen ein für den WSV fatales Abstaubertor von Miroslav Klose nach einem Missverständnis zwischen WSV-Keeper Christian Maly und Michael Stuckmann - diese drei Minuten werden den WSV-Fans unvergesslich bleiben. Die Arena bebte, als der Goliath aus der Bundesliga wackelte und sogar die Nerven von Torwart-Titan Oliver Kahn blank lagen.

Die erste Spielhälfte war eigentlich schon das komplette Eintrittsgeld wert und auch die Strapazen, die viele Fans aus dem Bergischen im Feierabendstau auf der Autobahn auf sich nehmen mussten. Der WSV belohnte seine restlos begeisterten Anhänger, weil er den frühen Rückstand durch Klose gut wegsteckte und sich auch nach dem Riesenpatzer von Stuckmann und Maly noch einmal ins Spiel kämpfte. Vor allem André Wiwerink und Daniel Voigt gaben dem WSV in der schwierigen Anfangsphase den nötigen Rückhalt.

Nach dem Spielende werden es die Wuppertaler Spieler sicherlich bedauert haben, dass es nach den ersten 45Minuten nicht schon direkt zum Elfmeterschießen ging. In der zweiten Spielhälfte waren die Bayern klar der Chef im Ring. Trainer Wolfgang Jerat war deshalb nach dem Ausscheiden auch mit seiner Mannschaft nicht zufrieden. "Müdigkeit in den Beinen heißt nicht, dass man gleichzeitig den Kopf abstellen darf. Ich hätte mir schon gewünscht, dass wir in manchen Phasen mehr unser Spiel durchgesetzt hätten, wenn die Bayern auch insgesamt zu stark waren."

Abspielfehler, die vor dem Seitenwechsel noch durch unbändigen Einsatz ausgebügelt wurden, wurden in der zweiten Hälfte von den Bayern bestraft. Etwas überraschend hatte Ottmar Hitzfeld Daniel van Buyten in die Anfangsformation berufen. Und der Abwehrspieler bedankte sich mit einem herrlichen Kopfballtor zum 2:3 nach Vorarbeit von Ribéry. Das war die Vorentscheidung, denn weder Kapitän Mike Rietpietsch noch Sven Lintjens waren in der Lage, das Spiel des WSV entscheidend anzutreiben. Luca Toni, von dem ansonsten wenig zu sehen war, stolperte den Ball zum 2:4 über die Linie und machte den Einzug der Bayern ins Viertelfinale perfekt.

Ottmar Hitzfeld lobte trotzdem den WSV: "In der ersten Spielhälfte ist der WSV an seine Grenzen gegangen. Wir waren zu leichtsinnig, dafür wurden wir bestraft. In der zweiten Spielhälfte haben wir früher gestört. Danach war es für uns nicht mehr so schwierig. Für die Zuschauer war es ein schönes Spiel."

Wuppertaler SV: Maly - Wiwerink (80. Mombongo-Dues), Voigt, Stuckmann, Lejan - Tim Jerat (77. Dogan), Bölstler, Lintjens (69. Malura) - Rietpietsch - Damm, Saglik Trainer: Wolfgang Jerat

Bayern München: Kahn - Sagnol, Lucio, van Buyten, Lahm - Sosa (74. Altintop), Ze Roberto (82. Kroos), van Bommel, Ribery (74. Schweinsteiger) - Klose, Toni Trainer: Ottmar Hitzfeld

Schiedsrichter: Michael Weiner (Giesen)

Tore: 0:1 Klose (15.), 1:1 Damm (26.), 1:2 Klose (27.), 2:2 Saglik (29.), 2:3 (50.) Van Buyten, 2:4 (54.) Toni, 2:5 (88.) Altintop

Vielen Dank, WSV! An einem grauen Wintertag haben ein paar Fußballer ein kleines Wunder geschafft. Nein, sie haben den großen FC Bayern München nicht geschlagen, doch sie haben Wuppertal mit auf eine stimmungsvolle Zeitreise genommen.

Da wurden Erinnerungen wach an den Sommer 2006, als das ganze Land im Fußballfieber war. Fast jedes Gespräch, ob beruflich oder unter Freunden, begann damals mit verbalen Doppelpässen zu Spielern, Toren und den kleinen und großen Geschichten der Fußball-WM.

Zumindest in den Tagen vor dem Pokalspiel war das in Wuppertal ganz ähnlich. Wer fährt mit wem und wann und wie zum großen Match? Können wir die Bayern wirklich schlagen? Das waren die großen Fragen, die eine Stadt vereinten und für ein "Wir-Gefühl" sorgten, das man ansonsten von den Elberfeldern, Barmern, Ronsdorfern, Langerfeldern, Cronenbergern und Vohwinkelern gar nicht kennt.

Dabei war die Atmosphäre im Vorfeld der Partie stets fürsorglich und freundschaftlich. Die Stadt hat "Seele" gezeigt. Zahlreiche WZ-Leser riefen in der Redaktion an und gaben Tipps für die An- und Abreise nach Gelsenkirchen. Mehrfach wurde der Wunsch geäußert, den Text vom "Tippen-Tappen-Tönchen", der heimlichen WSV-Hymne, abzudrucken, damit alle mitsingen konnten. Diesen Job hat unser W-Zetti gerne übernommen.

Auf ein friedliches Fußballfest durfte man sich freuen, und so reisten auch Familien mit ihren Kindern an, da Randale und Gewalt nicht zu befürchten waren. So würde man sich auch den Fußballalltag in der Regionalliga wünschen. Der WSV, der Fußball, die Bayern - sie alle haben der Stadt ein paar Wochen richtig gut getan.