Das Fräulein-Wunder im deutschen Rückraum
Novi Sad (dpa) - Die deutschen Handball-Frauen sind bei der WM schon im Achtelfinale - auch dank talentierter Rückraumspielerinnen. In zentraler Rolle treibt Kim Naidzinavicius das Spiel an. Gegen Tunesien und Ungarn geht es nun um Platz eins in der Vorrundengruppe.
Der Kieler Aaron Palmarsson ist schon lange nicht mehr dabei, wenn Kim Naidzinavicius aufläuft. Als die Rückraumspielerin anfing, sich ernsthaft mit Handball zu beschäftigen, trug sie stets ein T-Shirt mit der Unterschrift des isländischen Rückraumspielers in Diensten des THW unter dem Trikot. Das ist vorbei.
Wer sie bei der WM in Serbien erlebt, stellt rasch fest, dass die 22-jährige Spielmacherin der deutschen Nationalmannschaft sich längst emanzipiert hat. In der jungen deutschen Mannschaft, die nach dem 26:23 (13:12) gegen Rumänien mit dem dritten Sieg und dem Einzug ins Achtelfinale durch dieses Turnier rauscht, ist die Leverkusenerin innerhalb weniger Spiele zu einer festen Größe geworden. „Kim hat gerade gegen Rumänien ein Wahnsinnsspiel gemacht“, sagte ihre Teamkollegin Anna Loerper, die sich in diesen Tagen die Position im mittleren Rückraum mit ihr teilt. „Ihre Schlagwürfe sind für unsere Mannschaft eminent wichtig.“
Dabei war Kim Naidzinavicius ursprünglich lediglich als dritte Kraft auf der strategisch so wichtigen Position vorgesehen. Die Nummer eins unter den deutschen Spielmacherinnen war Kerstin Wohlbold vom deutschen Meister Thüringer HC. Doch als sich die unermüdliche Antreiberin eine Woche vor WM-Beginn das Kreuzband riss, war die Hierarchie im Rückraum der Nationalmannschaft durcheinandergewirbelt. „Das war wie ein Schock“, erinnerte sich Naidzinavicius. „Alle haben sich im ersten Moment gefragt: Was jetzt?“
Trainer Heine Jensen wusste Rat und beschloss, den schwerwiegenden Ausfall im Mannschaftsverbund zu kompensieren. Er bewies Mut und vertraute neben Kim Naidzinavicius auch der gerade einmal 20-jährigen Shenia Minevskaja vom TuS Metzingen die Mittelposition an. „Shenia hat noch nicht so viel Spielanteile“, sagte Anna Loerper, „aber wenn man sieht, wie sie die Liga in Grund und Boden schießt, weiß man, was für ein Talent da heranwächst.“
Wie gut das Mannschaftskonzept ala Jensen zurzeit gelingt, lässt sich nicht nur an den nackten Zahlen ablesen: drei Spiele, drei Siege und das Ticket für das Achtelfinale vorzeitig gelöst. Es ist auch die Art und Weise, wie die Mannschaft auftritt und die Aufgaben löst. In zwei weiteren Vorrundenspielen gegen Tunesien am Donnerstag und Ungarn am Freitag soll nun auch der Gruppensieg her, um die für die erste K.o.-Runde die günstigste Ausgangsposition zu schaffen. „Es ist schön für uns zu sehen, dass wir das als Mannschaft geschafft haben, was wir uns vorgenommen haben“, meinte Naidzinavicius.
Ganz sicher wird der Bundestrainer auch in den beiden abschließenden Gruppenspielen auf die jungen Wilden im Rückraum zählen. Dort tummelt sich neben Naidzinavicius, die bislang auf 24 Länderspieleinsätze kommt, und Minevskaja auch noch Anne Hubinger vom HC Leipzig, die mit ihren 20 Jahren als Riesentalent im rechten Rückraum gilt. Und erfahrene Kräfte wie Nadja Nadgornaja oder die bislang alles überragende Susann Müller (29 Treffer in drei Spielen) sind allesamt nicht älter als 25.
Keine Frage: Heine Jensen hat die Zukunft längst im Blick. Die großen Ziele der Mannschaft nach dieser WM heißen Olympia 2016 in Rio de Janeiro und die WM im eigenen Land 2017. „Für Kim sind das deshalb wichtige Erfahrungen, die sie im Spiel gegen Rumänien sammeln konnte“, sagte der Bundestrainer, „sie hat noch ein Riesenpotenzial.“