Deutscher Handball vor der Zerreißprobe
Leipzig (dpa) - Deutschlands Ballsportart Nummer zwei steht vor einer Zerreißprobe. Während die Handballer nach dem bitteren WM-Aus ohne Bundestrainer führungslos sind, sucht die Handball Bundesliga (HBL) auf der Mitgliederversammlung am nächsten Donnerstag in Düsseldorf einen neuen Präsidenten.
Doch intern brodelt es. „Diese Positionen müssen mit Bedacht besetzt werden. Der deutsche Handball kann sich nicht mehr viele Fehlentscheidungen leisten“, sagte HBL-Präsidiumsmitglied Christian Fitzek vom VfL Bad Schwartau.
Für Zündstoff sorgt vor allem eine Personalie außerhalb von Verband und Liga: Thorsten Storm soll als Geschäftsführer zum deutschen Rekordmeister THW Kiel zurückkehren, wie der Verein kürzlich verkündete. Der HBL-Präsidentschaftskandidat und einstige THW-Manager Uwe Schwenker sprach von einer „höchst unsensiblen Entscheidung des THW“ und einem „Stich in den Rücken von Hunderttausenden von THW-Fans“. Immerhin habe Storm beim Manipulationsprozess gegen ihn und den ehemaligen THW-Trainer Noka Serdarusic als Zeuge der Anklage „den THW mit Dreck beworfen“. Storm selbst war für eine Stellungnahme zunächst nicht erreichbar.
Schwenker hatte sich ab September 2011 mit Serdarusic mehrere Monate vor dem Kieler Landgericht wegen der angeblichen Manipulation des Champions-League-Finals 2007 zwischen Flensburg und Kiel sowie Schiedsrichterbestechung verantworten müssen. Storm habe die Manipulationsaffäre ausgelöst, „er wollte den THW vernichten“, hatte der freigesprochene kürzlich Schwenker gesagt.
Schwenker erfährt als möglicher Nachfolger seines Freundes Reiner Witte an der HBL-Spitze nun eine breite Unterstützung. „Kaum ein Handballfunktionär in Deutschland und Europa verfügt über derartige Erfahrungen. Ich weiß, dass er immer auch die 2. Liga im Blick hatte. Das erscheint mir in den nächsten Jahren genauso wichtig wie eine Neuausrichtung der Handball-Bundesliga“, sagte Geschäftsführer Gerald Oberbeck vom Zweitligisten Eintracht Hildesheim.
Der Club gehört zu einer Gruppe von neun Vereinen. „Wir hatten den Eindruck, dass in der HBL einiges sortiert werden muss“, meinte Geschäftsführer Axel Geerken von der MT Melsungen. Bei der Gesamtkonstellation „Storm kontra Schwenker“ ist eine gedeihliche Zusammenarbeit des norddeutschen Vorzeigevereins Kiel mit der HBL schwer denkbar. Selbst der Deutsche Handballbund (DHB) muss an seinem Tiefpunkt um die Unterstützung der Liga bangen. Bob Hanning gab am Mittwoch in einer Kolumne auf seiner Homepage zu, dass „es für einige ein Dorn im Auge ist, dass ich die Position des Vize-Präsidenten Leistungssport innehabe.“
Die nach außen getragene Hilflosigkeit des DHB in der Bundestrainerfrage passt ins Bild dieser krisengeschüttelten Sportart, die derzeit nur über den Erfolg der Bundesliga-Vereine definiert wird. Hanning hatte unmittelbar nach der verpassten WM-Qualifikation in Magdeburg gesagt, dass es nicht unprofessionell sei, „wenn man sich im Vorfeld schon den einen oder anderen Gedanken macht“. Doch ein Plan B hat bisher nicht gegriffen. „Zum einen haben wir auf den Erfolg unserer Nationalmannschaft mit Martin Heuberger vertraut — und da wäre es absurd gewesen, dieses Vertrauen mit einer Kandidatensuche für den Fall der Fälle zu unterlaufen. Zum anderen suchen wir die Antworten auf unsere Personalfragen mit Sorgfalt und Bedacht“, betonte DHB-Präsident Bernhard Bauer.
Dennoch herrscht in der Bundesliga ein Interessenkonflikt. „Ich bin angetreten mit dem Glauben an eine Vereinigung von 38 Bundesligisten. Mittlerweile hat sich dies als Illusion erwiesen“, sagte der 109-fache Nationalspieler Fitzek. Die Bundesliga sei gespalten in Champions-League-Teilnehmer und den Rest sowie die 2. Liga, die sich aufteilt in Aufstiegsaspiranten und Vereine, die um ihre Existenz kämpfen. „Innerhalb dieser Gruppen kämpft jeder für sich“, meinte Fitzek im vereinseigenen Pressedienst und betonte: „Solange es diese Ignoranz den Problemen der anderen gegenüber gibt, ist es egal wie der Präsident heißt.“
DHB-Präsident Bauer geht bei der HBL-Mitgliederversammlung von einer „demokratischen Entscheidung, die alle Beteiligten zu respektieren haben“ aus. Dann solle jeder im Sinne des Handballs seine persönlichen Interessen hintenanstellen. „Hahnenkämpfe bringen uns und den Handball ebenso wenig weiter wie künstlich von außen aufgebauschte Konflikte. Wir freuen uns auf die Zusammenarbeit mit der neuen HBL-Führung“, teilte der Präsident auf der DHB-Homepage mit.
Der ehemalige Nationalspieler und heutige TV-Experte Stefan Kretzschmar bezeichnet die Situation des Handballs als „grauenvoll. Unsere Sportart verliert gerade jegliche Daseinsberechtigung in den großen Medien“, meinte Kretzschmar in der „Sport Bild“ (Mittwoch). Obwohl der ehemalige Linksaußen Hannings Wahl ins DHB-Präsidium unterstützte, hagelt es auch Kritik an dessen Arbeit: „Er hat ein ganz, ganz großes Problem mit der goldenen Generation. Die muss man doch einbinden. Es ist auch unfassbar, wie man mit Heiner Brand umgeht. Das sind reine Animositäten von Hanning, weil er nicht über seinen Schatten springen kann.“