Handball-WM in Frankreich Deutschland vor dem Spiel gegen Kroatien: Von der Sonneninsel nach Rouen
Sigurdsson nominiert fürs Gruppenfinale zwei Joker: Glandorf und Pekeler.
Rouen. Am Mittwochnachmittag durfte sich Rune Dahmke noch darauf freuen, endlich ein bisschen Leben in seine Bunde zu bekommen. Bis dahin wohnte der Kieler als einziger deutscher Handball-Nationalspieler bei der WM in Rouen alleine auf dem Zimmer. Wenige Stunden vor der Partie gegen Weißrussland (31:25) wurde den „Bad boys“ mitgeteilt, dass Holger Glandorf am Donnerstag zum Team stößt. Da war klar, dass er das bis dato verwaiste Bett neben Dahmke beziehen würde.
Doch noch ehe der Flensburger Linkshänder im Teamquartier eincheckte, musste der Kieler Linksaußen seine Sachen packen. Völlig überraschend nahm Bundestrainer Dagur Sigurdsson neben dem von vielen erwarteten „Late entry“ von Glandorf einen weiteren Personalwechsel vor. Hendrik Pekeler ersetzt Dahmke, der um kurz vor drei mit zwei Rucksäcken über der Schulter und einem traurigen Gesichtsausdruck die Normandie verließ.
Sigurdsson hat damit vor dem Gruppenfinale an diesem Freitag (17.45 Uhr) gegen die ebenfalls verlustpunktfreien Kroaten seine „Joker gezogen“, wie er sagte. „Aus taktischen Gründen“, wie er ergänzte.
Mit Glandorfs WM-Teilnahme war gerechnet worden seit der 33-Jährige beim Trainingslager in Kaiserau einige Tage mittrainiert und auch den abschließenden Test in Kassel gegen Österreich bestritten hatte. Zwar war von Seiten des DHB ein Mitwirken des Weltmeisters von 2007 nur für den Notfall angekündigt worden, doch angesichts der Tatsache, dass Sigurdsson von vornherein lediglich einen rechten Rückraumspieler in seinen Kader nominiert und einen Platz freigehalten hatte, bestand seit Turnier-Beginn bloß die Frage, wann Glandorf nach Frankreich reisen würde: erst zur K.o-Runde oder schon zuvor.
Der Routinier, der 2014 der Nationalmannschaft den Rücken gekehrt hatte, freut sich auf sein Comeback und versprach schon am Mittwoch: „Ich werde Vollgas geben.“ Nach seiner Ankunft in Rouen dämpfte er aber die Erwartungen: „Ich bin nicht der Heilsbringer.“
Glandorfs Normandie-Trip kam wenig überraschend, Pekeler hatte allerdings niemand auf der Rechnung — auch wenn der Europameister im 28er-Kader stand. Doch nach eineinhalb Jahren fast ohne Pause genehmigte sich der Kreisläufer der Rhein-Neckar Löwen nach Weihnachten bewusst eine handballfreie Zeit. Noch in der vergangenen Woche genoss der Abwehrspezialist mit seiner Freundin Johanna und der einjährigen Tochter Fina Sofia den Urlaub auf Mauritius im Indischen Ozean. Was natürlich die Frage aufwirft, in welcher Verfassung sich der Kreisläufer nun präsentieren wird. Nicht nur Andreas Wolff unkte: „Ich weiß nicht, ob er in letzter Zeit handballspezifisch gearbeitet hat.“ Trainingsauftakt bei den Löwen war jedenfalls erst am Dienstag.
Pekeler scheint die freie Zeit jedoch genossen zu haben. Die Akkus sind aufgeladen, die Lust zurück. „Als ich die Spiele im Internet verfolgt habe, hat es wieder in den Fingern gekribbelt“, sagte er.
Der 25-Jährige soll in Rouen vor allem den Mittelblock in der Deckung stabilisieren. Hier bildete er gemeinsam mit Finn Lemke während der EM 2016 und auch bei Olympia in Rio ein perfektes Duo. Gegen Weißrussland offenbarte die DHB-Auswahl genau in diesem Bereich ungewohnte Schwächen. Außerdem „waren wir hier bislang dünn besetzt“, sagte Sigurdsson und sieht sich für die entscheidende Turnierphase nun besser gerüstet.
Im Hinterkopf hatte der 43-Jährige die Gedankenspiele mit Pekeler und Glandorf schon länger. Mit beiden Nachzüglern stand er in Kontakt. „Du weißt aber nie, ob du es tatsächlich machen kannst. Die Verletzung eines anderen hätte alles über den Haufen geworfen“, erklärte der Bundestrainer, der am Donnerstagmittag zufrieden festhielt: „Es ist so gekommen wie wir wollten.“ Und das in allen Bereichen.
Denn die Deutschen haben ihr anvisiertes Vorrunden-Endspiel um Platz eins. Ein Unentschieden gegen Kroatien würde reichen, um als Gruppensieger ins Achtelfinale einzuziehen. Das wäre gut fürs Selbstvertrauen, aber auch für die Reiseplanung. Eine Fahrt ins 120 Kilometer entfernte Paris, wo Katar warten würde, wäre wesentlich angenehmer als ein Trip nach Montpellier ans Mittelmeer, wo der Zweite der Gruppe C am Sonntag aller Voraussicht nach auf Ägypten treffen wird. „Wir wollen nach Paris“, machte Finn Lemke klar.
In die französische Hauptstadt ging es auch für Rune Dahmke. Allerdings früher als erwartet. Und vor allem nicht in die Arena nach Bercy, sondern zum Flughafen.