EM-Aus der deutschen Handballer perfekt
Aschaffenburg (dpa) - Der unüberhörbare Hilferuf kam aus dem Souterrain: Im Keller der Frankenstolz-Arena in Aschaffenburg bat Bundestrainer Martin Heuberger die Handball-Bundesliga um Entwicklungshilfe und forderte mehr Einsatzzeiten für deutsche Nachwuchskräfte im Liga-Alltag.
Einen eigenen Rücktritt schloss er aus. Der unbedeutende 38:19 (21:12)-Kantersieg gegen hoffnungslos überforderte Israelis konnte weder Heubergers Miene aufhellen noch das verheerende Gesamtergebnis und die große Krise beschönigen: Die Auswahl des Deutschen Handballbundes (DHB) ist als Gruppendritter in der Qualifikation für die EM 2014 komplett versagt.
Am Sonntagabend kam dann das befürchtete endgültige EM-Aus und damit das historische Debakel, dass erstmals deutsche Handballer bei einem Kontinentalturnier fehlen: Österreich besiegte zwar Russland mit 30:25 (12:12). Doch nur ein Erfolg mit neun Toren Unterschied hätte Deutschland dank der besseren Tordifferenz gegenüber Russland nach als besten Gruppendritten zur EM gebracht. „Die Qualifikation letztlich um vier Tore verfehlt zu haben, ist zwar bitter. Aber es bleibt dabei, dass uns vor allem das 27:31 im Heimspiel gegen Montenegro den Weg nach Dänemark verbaut hat“, sagte der Bundestrainer.
Der fünfte Platz bei der WM in Spanien fünf Monate zuvor zählte nicht mehr. „Bei mir und auch bei allen Spielern ist der Frust sehr groß. Wir hätten gern die Geschichte von der WM weitergeschrieben bei der EM in Dänemark“, analysierte Heuberger wehmütig und stellte offenherzig fest: „Ich finde, das war ein Rückschritt, diese Qualifikation.“
Nur Rechenkünstler konnten bis zuletzt noch ausblenden, dass zehn Jahre nach dem Titelgewinn eine EM erstmals ohne deutsche Handballer stattfindet. Die DHB-Auswahl ist am Tiefpunkt. „Dass wir nicht dabei sind, ist natürlich ganz schlimm, nicht nur für die Nationalmannschaft, sondern auch für die Bundesliga. Sowas darf uns nie wieder passieren“, schimpfte Mannschaftskapitän Oliver Roggisch, der seine Auswahlkarriere trotz des Debakels fortsetzen will. „Gerade in schwierigen Phasen wäre ich ja ein Feigling, wenn ich jetzt meinen Hut nehmen würde und sage, ich gehe in Rente“, sagte der 34-jährige Abwehrchef.
Auch Heuberger möchte im Amt bleiben. Dabei war die verkorkste EM-Qualifikation nach der verpassten Olympia-Teilnahme an den London-Spielen 2012 bereits die zweite sportliche Blamage in seiner erst zweijährigen Amtszeit. Die Diskussionen um seine Zukunft als Bundestrainer wurden neu angestoßen. Bereits nach der fatalen Pleite am Mittwoch in Montenegro hatte der designierte Verbandspräsident Bernhard Bauer erklärt, es gebe keine Jobgarantie für Heuberger.
„Damit muss ich leben als Bundestrainer. Es ist ganz klar, dass Personaldiskussionen um den Trainer stattfinden, wenn der Erfolg ausbleibt“, sagte Heuberger gelassen und wiederholte gebetsmühlenartig, dass er gern weiter an einer Mannschaft der Zukunft formen möchte: „Ich habe sehr viel Spaß daran. Ich glaube, dass das, was wir mit dem Umbruch begonnen haben, der richtige Weg ist. Und diesen Weg würde ich gern weitergehen.“
In der ersten Aufarbeitung der sportlichen Misere appellierte er wie schon sein berühmter Vorgänger Heiner Brand an die Bundesliga-Clubs, deutschen Talenten den Vorzug zu geben und sie fit zu machen für hohe internationale Ansprüche. „Es ginge mit einer freiwilligen Selbstbeschränkung, wie es andere Ligen auch haben, auch wenn bei uns immer das Bosman-Urteil angeführt wird. Aber da muss man sich mal einig sein, alle müssen an einem Strang ziehen“, erklärte Heuberger. „In Spanien ist es möglich, in Frankreich ist es möglich, nur in Deutschland nicht im Moment.“
Eklatant ist die Schwäche im Rückraum. Die Top-Clubs wie Champions-League-Sieger HSV Hamburg, Meister THW Kiel oder EHF-Cup-Sieger Rhein-Neckar Löwen besetzen die Positionen mit ausländischen Assen. Heuberger wünscht sich, dass die Vereine auch dort mehr deutsche Spieler fördern und nicht nur auf den Außenpositionen. „Da haben wir so viele Talente. Es geht darum, Perspektiven zu entwickeln im Rückraum. Da brauchen wir die Liga“, forderte der Bundestrainer und konstatierte: „Wir haben keine Überflieger in der Mannschaft, keine absoluten internationalen Stars.“
Verständlich, dass Heuberger mit Sorgenfalten in die nahe Zukunft blickt. Er befürchtet, dass die Bundesliga die Zeit wieder streicht, die sie mit Blick auf die EM in Dänemark für die Nationalmannschaft freigeschlagen hatte. „Das wäre genau kontraproduktiv“, sagte er. Schließlich muss er sich mit seinem Team nun im November und im Januar - parallel zur nächsten EM - durch die Vorqualifikation zur WM 2015 in Katar kämpfen. Nur so bleibt auch das Ziel Olympische Spiele 2016 in Rio de Janeiro weiter erreichbar.