„In der Außendarstellung fehlt es vielen Leichtathleten an Feuer“

Hochsprung-Olympiasiegerin Heike Henkel über Leichtathletik im Umbruch, die EM2018 in Berlin und ihr Fitness-Rezept.

Osnabrück. Hochsprung-Olympiasiegerin Heike Henkel (53) erhofft sich von der Europameisterschaft im nächsten Jahr in Berlin einen Popularitätsschub für die Leichtathletik. Die mit dem früheren Zehnkämpfer Paul Meier verheiratete ehemalige Bambi-Preisträgerin kritisiert zudem, dass der Fußball in der Berichterstattung alles erdrückt.

Frau Meier-Henkel, die deutsche Leichtathletik befindet sich im Umbruch. Ist zu befürchten, dass der DLV gegenüber anderen, aufstrebenden Ländern den Anschluss verliert?

Heike Henkel. Der Konkurrenzkampf ist viel größer geworden als zu meiner Zeit. Kleinere Nationen haben aufgeholt. Der DLV muss sich einer veränderten Herausforderung stellen. Das trifft aber auch auf andere Sportarten zu. Der Verband, aber auch die Athleten sollten einen Plan haben, dass sie im internationalen Vergleich nicht an Boden verlieren. Wir haben das Potenzial.

Wie?

Henkel: Die Zusammenarbeit der Leichtathletik mit den Schulen ist wichtig. Wenn Unterrichtsstunden ausfallen, ist oft der Sport davon betroffen. Früher war es nicht unbedingt anders, aber es gab noch mehr engagierte Schulen und Lehrer. In den USA holen sie ihre Topsportler aus den Colleges. Das System ist zwar anders, aber vom Grundsatz her ist es eine erfolgreiche Kooperation, die auch bei uns möglich wäre. Wenn Leichtathletikvereine und Schulen enger zusammenarbeiten würden, könnten mehr Talente gefunden und gefördert werden.

Machen Jugendliche einen Bogen um die Leichtathletik, weil sie wenig Perspektiven sehen und bei der Zukunftsplanung überfordert sind?

Henkel: Wenn man etwas mit Ernsthaftigkeit betreibt, gibt es Lösungen. Wir haben ja duale Systeme, wo Sport und Schule beziehungsweise Beruf unter einen Hut zu bringen sind. Manchmal wird zu viel gejammert. Ich bin der Typ, der erst einmal bei sich selbst anfängt und nicht im ersten Schritt die Verantwortung an andere weitergibt.

Im nächsten Jahr ist die Europameisterschaft in Berlin. Was erhoffen Sie sich von den Titelkämpfen?

Henkel: Auf jeden Fall einen Popularitätsschub. Mit der Leichtathletik-Show „Berlin fliegt“ nach der WM in London ist schon etwas Gutes auf die Beine gestellt worden. Die Begeisterung war da, so wie ich das mitbekommen habe. Die Leichtathletik hat im nächsten Jahr die große Chance, sich positiv darzustellen.

Sie gehören der neuen Jury im Verband Deutscher Sportjournalisten an, die die Gewinner im großen VDS-Preis ermittelt. Welchen Stellenwert hat die Leichtathletik im Sportjournalismus?

Henkel: Der Fußball erdrückt fast alles. Wenn ich sehe, dass zu besten Sendezeiten schon Regionalligaspiele gezeigt werden, dann finde ich das übertrieben. Aber es ist auch Sache der Leichtathletik, sich besser zu präsentieren. Bei der WM in London war die öffentliche Wahrnehmung in Ordnung. Das Fernsehen hat mitgezogen und ausführlich und gut berichtet. Was ich vermisse, ist die Nachhaltigkeit. Nach den großen Events bricht das Interesse schnell ab.

Was können die Athleten machen?

Henkel: Sie können dazu beitragen, dass die Leichtathletik mehr in den Fokus rückt. Die Begeisterung ist bei zu wenigen Athleten wahrzunehmen. Sie bringen die Faszination Leichtathletik nicht so tief gehend rüber. Da kann man mehr machen. Klar, jeder Athlet sollte authentisch sein. Aber in der Außendarstellung fehlt mir manchmal das Feuer.

Sportler fordern mehr Mitspracherecht, der unabhängige Verein „Athleten Deutschland“ ist entstanden. Werden die Sportler durch den DOSB nicht angemessen vertreten?

Henkel: Generell finde ich es wichtig, dass Athleten ihre Meinung sagen und auf Missstände aufmerksam machen. Das passiert — zumindest in der Öffentlichkeit — viel zu wenig. Es bringt doch nichts, wenn nur der Funktionär sich zu Problemen äußert, obwohl die Athleten betroffen sind. Es muss aber auch (noch) mehr von den Sportlern kommen.

Sie haben als engagierte Anti-Doping-Kämpferin 1991 den Bambi erhalten. Glauben Sie, dass die Leichtathletik sauberer geworden ist?

Henkel: Wenn ich höre, dass 40 Prozent der Athleten bei der WM 2011 in Daegu gedopt gewesen sein sollen, dann bin ich eher skeptisch. Es wird viel gemacht in Sachen Dopingbekämpfung. Aber ob immer und in jedem Land gleiche Voraussetzungen herrschen und mit der entsprechenden Intensität durchgegriffen wird, da habe ich meine Zweifel. Was in Deutschland funktioniert, kann in anderen Verbänden ganz anders sein. Durchgehend sauber scheint die Leichtathletik nicht zu sein.

Wie oft werden Sie heute noch auf Ihre großartigen Erfolge angesprochen?

Henkel: Bei uns im Dorf wissen das ja alle. Bei meinen Vorträgen schon häufiger. Ich freue mich, dass die Leute sich noch an mich erinnern und meine Leistungen wertschätzen.

Beschäftigen Sie sich noch mit dem Hochsprung?

Henkel: Nicht so ausgiebig. Ich weiß aber, dass wir mit Marie-Laurence Jungfleisch eine talentierte Springerin haben. Mateusz Przybylko von Bayer Leverkusen hat bei den Männern mit der Jahresbestleistung von 2,35 m auf sich aufmerksam gemacht. Ich hoffe, dass sie langfristig international mithalten können.

Wie halten Sie sich fit?

Henkel: Ich gehe joggen mit meinem Hund. Früher habe ich Laufen nicht gemocht. Jetzt mache ich das gerne. Hochsprung kommt für mich nicht mehr in Frage. Dazu bin ich zu steif geworden. Ich würde gerade noch einen Sprung auf Mattenhöhe schaffen.