Herr Mronz, was sind neue Aspekte der Rhein-Ruhr-Offensive für Olympische Spiele 2032 in NRW, die Sie derzeit beschäftigen und die in ein Konzept noch integriert werden müssen?
Interview mit Michael Mronz und Günther Schuh Neue Fakten zur Olympia Bewerbung in NRW
Düsseldorf · Sportmanager Michael Mronz und RWTH-Professor Günther Schuh sprechen im Interview über neue Details für Olympia in NRW, passende Verkehrskonzepte im Stau-Land und die Kostenfrage.
Michael Mronz: Im Sommer 2019 hat die IOC-Vollversammlung zum einen beschlossen, dass sich künftig auch Regionen bewerben können, nicht nur Städte. Das zahlt zu 100 Prozent auf unser nachhaltiges Regionenkonzept ein. 90 Prozent der benötigten Sportstätten sind bereits heute vorhanden. Zum anderen: Bisher wurden die Spiele fix sieben Jahre vorher vergeben, das ist jetzt flexibler. Es findet ein sogenannter Dialogprozess statt. Dadurch werden auch die Bewerbungskosten deutlich reduziert. Die Hamburger Bewerbung hat schätzungsweise noch 30 Millionen Euro gekostet, diese Kosten können nun deutlich minimiert werden. Dabei freuen wir uns, dass auch im Landtag die Fraktionen von CDU, SPD, FDP und Bündnis 90/Die Grünen offiziell eine Bewerbung begrüßen. Daneben werden wir im März das Planungspapier für die Paralympischen Spiele abschließen.
Einige Fragen sind trotzdem weiter offen.
Mronz: Das ist richtig. Und wir haben von Beginn an deutlich gesagt, dass wir Zug um Zug Antworten erarbeiten werden. Daher ist in diesem Jahr die Beantwortung der Themen Pressezentrum, Olympisches Dorf, Leichtathletikstadion und Budget unsere zentrale Aufgabe. Im Fokus stehen zudem zahlreiche Bürgerdialoge wie im letzten Jahr, als wir über 80 Veranstaltungen hatten. Wir werden im Juli erste seriöse Budget-Zahlen liefern, unterstützt von einer Wirtschaftsprüfungsgesellschaft, sodass die Zahlen auch von extern belastbar sind. Für das Olympische Dorf werden wir 2020 drei bis vier mögliche Standorte definieren.
Welche werden das sein?
Mronz: Es geht um eine ökologisch und ökonomisch sinnvolle Nachnutzung. Und auch geografisch muss es passen. Es kommt die Region zwischen Köln, Düsseldorf und Essen infrage. Es könnten auch Kommunen sein, die jetzt noch nicht zu den 14 Austragungsorten gehören. Wir fragen nicht: Was ist die Notwendigkeit für ein olympisches Dorf? Wir gehen von der Nachnutzung aus und erstellen dann die zu verändernden Parameter für ein olympisches Dorf. In der Nachnutzung halten wir es von Beginn an für sinnvoll, diese mit einem Konsortium aus regionalen Wohnungsgenossenschaften und nationalen Wohnungsgesellschaften auszuarbeiten. Klar ist: Wenn wir die Dauer von Planungs- und Genehmigungsverfahren für solche Flächen, die quasi ein Stadtteil sind, in Deutschland betrachten, müssen wir uns jetzt fokussieren, dass wir den Termin bis 2032 schaffen.
Wie viele Wohnungen müssen entstehen?
Mronz: Es geht grob um eine Fläche von 50 Hektar, auch abhängig von der Höhe der Bebauung. Man braucht Unterkünfte für 17500 Sportler und Betreuer.
Ein Leichtathletik-Stadion steht nirgendwo, Fußball-Erstligist 1. FC Köln wird dafür auch absehbar keine Möglichkeit bieten. Das war ja wohl Ihre Hoffnung.
Mronz: Wir werden drei Möglichkeiten aufzeigen. Erstens: Wenn ein Bundesligist auf dem Weg nach 2032 ein Fußballstadion bauen oder umbauen sollte, könnte man temporär ein Leichtathletik-Stadion integrieren. Wie in Paris das Stade de France. Variante 2: Wir bauen komplett ein temporäres Leichtathletik-Stadion, welches nach den Spielen wieder komplett zurückgebaut wird. Die dritte Variante: NRW könnte sich als größtes Bundesland auch ein kombiniertes Stadion zutrauen. Im Juni finden die Finals der verschiedenen deutschen Meisterschaften in Nordrhein-Westfalen statt, Leichtathletik kann hier aber nicht ausgetragen werden, weil kein leichtathletiktaugliches Stadion vorhanden ist. Ich finde da eine Diskussion richtig. Neben der Tatsache, dass ich glaube, dass 2032 eine Anzahl an Leichtathletik-Disziplinen wie Kugelstoßen, Weitsprung oder Hochsprung eher innerstädtisch ausgetragen werden.
Herr Schuh, solche Genehmigungsverfahren, die Herr Mronz anspricht, haben Sie auf anderen Gebieten kennengelernt. Macht Ihnen die Kenntnis darüber Sorgen, dass 2032 in NRW aus heutiger Sicht ein auch zeitlich zu ambitioniertes Projekt ist?
Günther Schuh: Ich denke anders: Ich glaube, dass wir ein Versuchsfeld schaffen müssen, wie neues Wohnen, Leben und Mobilität überhaupt gehen kann. Das geht mit unserem Status quo „Hier ein bisschen, da ein bisschen“ sicher nicht. Wir brauchen auch unabhängig von Olympia ernstgemeinte Vorstöße für neue Mobilität, für logistisch logische und moderne Städte. Das heißt zum Beispiel: Eine logische Stadt ist hoch. Wir müssten eigentlich 28-geschossig denken. Warum? Eine Stadt braucht man wegen des Konsums: Kunst, Nahrung, Einkauf, Erlebniswelten. Dafür brauchen sie einen hohen Traffic, also Population. Zweitens: Wir müssen Verkehre auseinander halten, weil sie sich gegenseitig behindern. Eigentlich brauchen wir drei Verkehrsebenen. Wir können uns das viel zu wenig vorstellen, weil wir zu wenig zusammen rumkommen in der Welt: Denn das funktioniert woanders längst in vielen Ansätzen. Ein solches Versuchsfeld könnte zum Beispiel ein Olympisches Dorf sein. Als die Keimzelle schlechthin.
Im Stau stehen sie aber auch in anderen Städten, die auf diesem Gebiet deutlich weiter sind.
Schuh: In meinem Modell fahren Sie nicht mit dem eigenen Auto. Sie fahren emissionslos auf der Straße, oberirdisch, nicht starr auf der Schiene. Sie fahren „on demand“, also auf Nachfrage. Und in größeren Bussen mit viel höherer Frequenz als heute. Wir würden also in der Innenstadt im Prinzip nur noch „shuttlen“. Um den Innenstadtring haben sie sogenannte „Mobility Hubs“, also enorm große Parkhäuser, in denen ihr Auto steht. Denn das werden Sie auch in Zukunft brauchen, alles andere zu sagen, wäre Blödsinn.
Jetzt finden wir in NRW aber – Stand jetzt – eine Ansammlung von Kommunen, die all das eher nicht schnell und sofort erfüllen werden können.
Schuh: Was ist sofort? Fest steht: Natürlich geht es nur mit einer spektakulär konzertierten Aktion. Ein sympathischeres Ziel dafür als Olympia kann ich mir gar nicht vorstellen.
Mronz: Wichtig ist, dass wir all dies nicht für Olympia machen, sondern dass es durch Olympia realisierbar wird. Für die Menschen, die hier leben.
Schuh: Es wäre ein absoluter Befreiungsschlag, Sehen Sie das Verkehrssystem in München, das zu den Spielen 1972 entstanden ist. Beispielhaft. Ich erhebe Einspruch gegen den Gedanken, das ginge in der Zeit nicht. Das geht. Nehmen Sie eine Stadt wie Essen. Sie bräuchten fünf bis acht größere Park- and Ride-Parkhäuser, zusammen mit einem innerstädtischen „On demand-Angebot“. Dazu einige technische Tricks: Die Verkehrsdichte zwischen den Shuttles ist zum Beispiel zu erhöhen: Heute fahren wir im Durchschnitt 17 km/h und brauchen 18 Meter für 1,3 Personen. Diese Verkehrsflächenproduktivität können wir um den Faktor zehn erhöhen, weil der Verkehr mit einfacher Künstlicher Intelligenz ohne Staus schneller fährt. Außerdem ist der Shuttle mit 15 Personen zu besetzen, das ist etwas anderes als 1,3 Personen in einem Auto. Und: Die elektronische Deichsel garantiert, dass elektronisch betriebene Fahrzeuge bei Begegnung mit einem Meter Abstand fahren. Die einzige Voraussetzung ist, dass wir all das konzertiert wollen. Wir legen da keine technologischen grünen Bananen auf den Tisch, die noch reifen müssen. Nur hat es keinen Zweck, dass wir in Düsseldorf dieses und in Köln jenes versuchen. Wir brauchen einen „Metropolen-Approach“, der NRW und Deutschland begeistern wird. Wir wollen uns an einem Ziel abarbeiten, statt in einer Verbots- und Ablehnungsmentalität zu versauern. Das täte uns in einem Ingenieur-Deutschland wirklich gut.
Mronz: Wenn man das Schienennetz digitalisiert, kann man im öffentlichen Fernverkehr 40 Prozent mehr Auslastung anbieten, ohne, dass ein Kilometer Schiene neu gebaut werden muss. 20 Prozent sind das im öffentlichen Nahverkehr. Dadurch kann die Taktung immens erhöht werden, das ist heute schon möglich. Olympia 2032 könnte hier ein großer Beschleuniger sein und würde notwendige Mittel dafür schneller frei machen.
Schuh: Wir stehen an einer Gezeitenwende. Noch ein Beispiel: Ein PKW wird heute zu vier Prozent genutzt, wir schmeißen ihn trotzdem nach 11,3 Jahren weg. Jetzt aber verstehen wir unsere Ressourcenverschwendung. Wir brauchen für den gesellschaftlichen Wohlstand weiter Produktivitätssteigerung, aber wir müssen jetzt mit einer besseren Ressourcen-Ausnutzung arbeiten. Elektrische Fahrzeuge können eigentlich 50 Jahre halten, selbst wenn sie intensiv genutzt werden, wie wir das ja wollen. Auf der Langstrecke ist die Bahn das ökonomisch wie ökologisch beste Mittel, das jetzt mit Künstlicher Intelligenz optimiert werden muss. Und wenn sie dann endlich richtig betrieben wird, werden auch die Preise sinken.
Herr Mronz, trotzdem braucht es ja erst einmal den Zuschlag für Olympia. Der DOSB spricht immer wieder auch von Berlin als Konkurrenz. Ernüchtert diese fehlende Rückendeckung von denen, die am Ende über eine deutsche Bewerbung entscheiden?
Mronz: Ich komme aus dem Sport. Da ist es wichtig, für sich die richtige Technik und Taktik zu haben. Wir arbeiten weiter an unseren Hausaufgaben. Am Ende geht es um das beste ökologisch und ökonomisch nachhaltigste Konzept für Deutschland. Und bisher gibt es nur eines, das auf dem Tisch liegt. Ein weiteres kenne ich nicht. Wenn am Ende des Tages was Besseres vorgelegt wird, sage ich: Dann sollte Deutschland damit ins Rennen gehen. Aber ich bin überzeugt, dass wir ein sehr attraktives Angebot haben. Und: Der Erfolg Deutschlands ist unser föderales System. Daher habe ich nicht diesen Automatismus: Berlin, Berlin, Berlin. Wenn wir Sportarten wie Schwimmen, Hockey, Volleyball, Handball, Basketball oder Reiten vor 40 bis 50 000 Zuschauern präsentieren können, ohne neu zu bauen, dann ist das einzigartig in Europa. International heißt es, Brisbane sei Favorit mit seinem Regionenkonzept mit Queensland, bis vor Kurzem wurde ein solches Regionenkonzept noch belächelt. Das zeigt doch: Lasst uns die Hausaufgaben machen. Dabei haben wir international ein gutes Argument: Wir bringen die Spiele zu den Menschen. In Brisbane erreichen sie innerhalb von 600 Kilometern zehn Millionen Menschen. Bei uns sind es 220 Millionen.
Was bleibt von all diesen Ideen, wenn es nicht funktioniert?
Mronz: Was wir mit Rhein Ruhr City schon jetzt geschaffen haben, ist ein Wir-Denken in der Region mit zentralen Anliegen der Menschen. Jetzt liegt es an der Politik, ob sie das für essenzielle Themen wie beispielsweise die vernetzte Mobilität und Digitalisierung umsetzen will. Ich gehe heute davon aus, dass die Vergabe der Spiele 2032 vom IOC früher als 2025 entschieden wird. Die Themen der Mobilität und Digitalisierung müssen daher in den nächsten 24 Monaten fixiert werden: Deutsche Bahn, öffentliche Nahverkehrsverbünde als Beispiel, die müssten ein Thema wie die Digitalisierung der Schiene zeitnah anschieben. Das wären dann auch unumkehrbare Prozesse.
An wen richten sich konkrete Forderungen für eine konzertierte Aktion?
Mronz: Wir stellen keine Forderungen. Wir schaffen ein Angebot an die Politik und Sportpolitik, aus der Mitte der Gesellschaft heraus, mit der Vision, dass durch Olympische und Paralympische Spiele 2032 Dinge schneller vorangetrieben werden können. Wir werben um das Vertrauen zu prüfen, ob es lohnenswert ist, sich zu bewerben. Dabei ist es uns wichtig, dass im Rahmen des Prozesses eine Bürgerbefragung stattfindet. Wann dies sein wird, das ist Aufgabe der Politik.
Schuh: Wir müssen doch auch zeigen, dass Olympische Spiele nicht nur in autokratischen Systemen passieren, sondern auch in bevölkerungsreichen Zonen. Das Projekt wird so oder so Beute machen und Investitionen auslösen, die bleiben. Womöglich eine wahnsinnig attraktive Multistädteregion mit einem konvergierenden Verkehrssystem. Das Problem eines Flughafens in Berlin ist, dass es nicht schlimm ist, wenn er nicht fertig wird. Das coole an Olympia ist: Wenn das zu spät fertig wird, wäre das schade (lacht).
Wie beseitigt man die Kakophonie in der Zukunftsplanung des NRW-Verkehrs?
Schuh: Wir haben Software-Apps in jeder Kommune, jeder Oberbürgermeister hat drei Software-Startups in seiner Stadt und fördert sie. Das alles führt zu nichts, oder besser gesagt: Nur zu der Reichweite, die mit kleinem staatlichen Geld abzudecken ist. Ein Momentum bekommen wir hin, wenn die großen Player wie Microsoft in diesem Ansatz eine Skalierungsoption für große Lösungen sehen. Dann werden ein, zwei Milliarden Euro investiert, die vielleicht durch Olympia eine halbe Milliarde Revenue ergeben. Die aber zugleich den Markteintritt zum Beispiel einer „On-Demand-Plattform“ im internationalen Markt ermöglichen. Diese Lösungen bekommen wir nie mit staatlichem Geld hin. Wenn wir aus jedem Dorf eine Kirche bewirtschaften wollen, dann ist das nur ein kleiner Ansatz mit öffentlichem Geld. Wir müssen Milliarden mobilisieren, die möglichst gar nicht aus dem Staatssäckel kommen. Und da brauche ich ein leuchtendes Ziel: Olympia kann das sein. Die Zeit ist reif.