Anna Hahner liebt den Marathon: „Wie ein Boxkampf“

Berlin (dpa) - Erst mit 17 entdeckte sie die Lust am Laufen, mit 24 startet sie nun schon zu ihrem fünften Marathon. Das einsame Training empfindet Anna Hahner nicht als Quälerei, die 42,195 Kilometer sind für sie „wie ein Boxkampf“.

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Am Sonntag will sie in Berlin auf den Punkt genau fit sein.

Auch wenn sie mit den Besten der Welt (noch) nicht mithalten kann - ihr Sieg beim Wien-Marathon am 13. April hat das Leichtgewicht aus dem Schwarzwald mächtig motiviert.

Was bekommt Ihnen denn besser: Wiener Walzer oder Berliner Luft?

Anna Hahner: In Wien hat's mir unglaublich gut gefallen, da hab' ich mich auf die Sachertorte gefreut. Ich brauche was Süßes nach dem Marathon! Berliner Bockwurst oder Bulette eher nicht. Aber ich habe ein Bild von einem Laden in der Friedrichstraße gesehen - da stand ein Berliner Bär aus Schokolade davor. Das wär' was, das ich mir gut vorstellen könnte.

Wie wichtig war der Sensationssieg am 13. April in Wien für ihre Zukunft? War das mehr als ein Motivationsschub?

Hahner: Der Sieg in Wien hat mich auf ein anderes Level gebracht. Das war ein krasses Erlebnis, im Duell Frau gegen Frau einen Marathon zu gewinnen. Und das hat mich vor allem mental einen Riesenschritt nach vorn gebracht.

Sie sind 24, haben erst mit 17 angefangen zu laufen - und starten am Sonntag zu ihrem fünften Marathon. Was nehmen sie sich vor?

Hahner: Ich weiß, dass ich gut drauf bin. Und mein Ziel ist, eine neue Bestzeit zu laufen. Wichtig ist halt, dass es auf den ersten 30 Kilometern richtig gut rollt und läuft. Wenn man dann noch Körner hat, kann man hintenraus noch aufdrehen.

Wieso quälen Sie sich mit besonders intensivem Training - und das für höchstens zwei Marathons im Jahr?

Hahner: Ich quäle mich nicht. Manchmal tut es schon ein bisschen weh, aber das Coolste ist doch, wenn man ein Training erfolgreich beendet hat. Ich find es eigentlich cool, wenn man sich die ganze Zeit auf einen einzigen Tag vorbereitet, da muss alles passen. Und wenn es nicht klappt, kannst du nicht sagen: Dann versuche ich es halt nächste Woche wieder. Irgendwie ist es wie ein Boxkampf - man muss auf den Tag genau fit sein.

Schaut man auf die Liste Ihrer Sport-Aktivitäten, Hobbies und Leidenschaften - Sie sind Sie ein wahres Multi-Talent. Warum dann vor sieben Jahren der Wechsel zur Leichtathletik?

Hahner: Wir sind in einem 300-Einwohner-Dorf aufgewachsen. Da hat man Fußball gespielt, wir haben uns für Tischtennis entschieden und kamen gar nicht auf die Idee, dass man so etwas wie Laufen kann. Ja klar, von A nach B - aber warum? Dann waren wir mit 17 Jahren bei einem Vortrag von Joey Kelly. Das hat uns dann halt so fasziniert, wie er vom Laufen erzählt hat, welche Kraft ihm das gibt und wie er Dinge vollbringt, die gar nicht möglich sind. Das war dann - peng! - wie ein Startschuss, und am nächsten Tag ging's dann für uns los.

Dass Sie auf Ihren EM-Start verzichtet haben, hat viel Staub aufgewirbelt und den DLV total verärgert. Hatten Sie damals oder heute das Gefühl, sich zu erklären oder rechtfertigen zu müssen?

Hahner: Ja, schon. Aber das habe ich bewusst schon Anfang des Jahres gemacht. Es war ja nicht so, dass ich nicht bei der EM starten wollte. Es ist genial, für das eigene Land zu laufen. Deshalb habe ich früh die Gespräche gesucht, ich weiß nicht, ob ich nicht ernst genommen wurde. Auf jeden Fall ist man nicht auf einen gemeinsamen Nenner gekommen. Es sollte einfach nicht sein, dass ich dort starte - deswegen will ich jetzt in Berlin Vollgas geben.

Aber die verärgerte Reaktion des DLV ist doch auch verständlich?

Hahner: Auf jeden Fall verstehe ich den DLV. Der Verband will, dass die schnellsten Marathonläuferinnen auch am Start sind. Aber es fehlt so ein bisschen ein Konzept für die Langstrecke, für den Marathon. Wir müssen uns halt größtenteils durch zwei Marathon-Starts im Jahr finanzieren. Und wenn durch eine EM, wo man gar nichts verdienen kann, die Hälfte der Einnahmen dadurch wegfällt, dann ist es enorm schwierig. Mein großes Ziel sind die Olympischen Spiele 2016 in Rio. Wenn ich jetzt überlegen muss, ob ich mir nächstes Jahr die Trainingslager leisten kann, dann ist es keine optimale Vorbereitung auf Olympische Spiele.

Auf Ihrer Homepage tauchen neun Partner auf, davon adidas und Gerolsteiner als Hauptsponsoren. Reicht das als finanzieller Background für eine relativ brotlose Kunst - oder kommen Sie sich eher als Laufprofi mit Amateurgehalt vor?

Hahner: Ich bin mega-glücklich, dass jetzt Gerolsteiner unser neuer Partner ist zusammen mit adidas. Gerolsteiner unterstützt mich auch finanziell. Das nimmt einem auch ein bisschen den Druck für die großen Marathons. Auch wenn man krank oder verletzt und gar keinen Marathon laufen kann, dann muss ich mir keine Gedanken machen, ob ich die Miete im nächsten Monat noch bezahlen kann. Ich bekomme 200 Euro von der Sporthilfe - da kriege ich nicht mal ein Zimmer im Studentenwohnheim.

Wir halten auch Vorträge, um noch ein drittes Standbein neben den Wettkämpfen und Sponsoren zu haben. Deswegen definieren wir uns bewusst als Sportunternehmer und nicht als Profisportler.

Mit ihrer persönlichen Bestzeit von 2:27:55 Stunden stehen Sie im guten Mittelfeld der Marathonbestenlisten, Sie sind aber noch nicht mal im besten Marathonalter. Geht da noch was?

Hahner: Ja. Davon gehe ich fest aus. Ich laufe ja erst seit zwei Jahren die 42,195 Kilometer und bin noch sehr jung für eine Marathonläuferin. Ich möchte noch viel schneller laufen. Das treibt mich jeden Tag an, wenn ich meine Laufschuhe schnüre. Ich will schon sehr gerne mal unter 2:25:00 kommen.

Das Olympia-Logo von Rio de Janeiro 2016 taucht ganz unten auf Ihrer Homepage auf...

Hahner:Aber das ist sogar das oberste Ziel! Die ganzen Planungen sind darauf ausgerichtet. Wir planen schon unsere Trainingslager langfristig auf Olympia 2016 in Rio hin. 2012 bin ich ja 14 Sekunden an der Olympia-Norm vorbeigeschrammt. Da wusste ich: okay, 2016 in Rio, da bin ich 26 - hallo: Da bin ich dabei! Da werden wir gemeinsam an der Startlinie stehen: meine Zwillingsschwester Lisa und ich.

Sie besitzen den 1. Kyu - den braunen Gürtel - im Ju-Jutsu. Haben Sie diese Kampfkunst schon im Ernstfall mal anwenden müssen?

Hahner: Nein. Nur vielleicht gegen meine Schwester. Aber sie hat den gleichen Gürtel, da muss man dann schon ein paar Tricks aus der Tasche holen. Wenn Lisa von meiner Schokolade genascht hätte, dann würde ich mein Ju-Jutsu-Knowhow wieder mal auspacken. Aber im Ernst: Ich glaube nicht, dass sich jemand trauen würde, mich anzugreifen.

Marathon schwächelt seit einigen Jahren schon etwas in Deutschland. Woran liegt das, und wie kann man aus Ihrer Sicht gegensteuern?

Hahner: Ich glaube, dass es wichtig ist, dass Marathon eine Plattform bekommt und eine Öffentlichkeit hat. Ich habe es ja selber gemerkt: Ich hatte keinen Zugang zum Laufen, zur Leichtathletik und wurde dann durch diesen Vortrag von Joey Kelly motiviert. Wenn man schaut, wie viele Jungs in Deutschland Fußball spielen - wenn man Idole hat und sie im Fernsehen sehen kann, dann werden Kinder auch zum Nachmachen animiert.

Ich fand es mega-cool, dass ich vor ein paar Tagen eine Nachricht auf Facebook von einem jungen Mann bekommen habe. Der wurde durch mich motiviert, hat selbst mit dem Laufen angefangen, hat jetzt schon 30 Kilo abgenommen und sich diese Woche für seinen ersten Halbmarathon angemeldet. Wichtig ist, dass die Kinder sehen, dass man nicht nur Fußball spielen muss, sondern auch Laufen kann.

ZUR PERSON: Anna Hahner läuft in Berlin ihren fünften Marathon. Früher spielte sie Tischtennis, hat den braunen Gürtel im Kampfsport Ju-Jutsu. Mit 17 kam die heute 24-Jährige zur Leichtathletik. Im Vorjahr stellte sie mit 2:27:55 Stunden ihre Bestzeit auf, in diesem Frühjahr gewann sie den Wien-Marathon. Anna Hahner wird von Renato Canova und Thomas Dold trainiert. Sie und ihre Zwillingsschwester Lisa wohnen in Gengenbach im Schwarzwald; sie starten für den Verein RUN2SKY.com. Großes Ziel: Olympia 2016 in Rio.