Der Verdacht läuft mit: Ex-Dopingsünder fordert Bolt
Frankfurt/Main (dpa) - So etwas wie Erschöpfung scheint Justin Gatlin nicht zu kennen. Nach seinem Doppelsieg beim Leichtathletik-Meeting in Monaco beklatschte sich der immerhin schon 31-Jährige zunächst selbst, ehe er noch auf der Laufbahn und ohne große Anzeichen von Müdigkeit die ersten Autogramme gab.
Der Amerikaner hatte gerade innerhalb von nur zwei Stunden zunächst die Sprintstaffel der USA zu einer Weltjahresbestzeit geführt und dann auch noch sein Einzelrennen über 100 Meter in 9,94 Sekunden gewonnen. So kurz vor der WM in Moskau wollte er seinen Auftritt als nichts anderes als eine Kampfansage an den Superstar Usain Bolt verstanden wissen. „Erst die Staffel und dann ein 100-Meter-Rennen so gelaufen zu sein, wie ich das getan habe, das zeigt: Ich bin bereit für die Weltmeisterschaften“, tönte er.
Das ist allerdings nur Gatlins eigene und stark verkürzte Sicht auf die Dinge. Eine andere sieht in ihm das beste Beispiel für das große Dilemma, in dem die Leichtathletik nach dem Skandal um seine Rivalen Tyson Gay (USA) und Asafa Powell (Jamaika) steckt. Ohne die beiden positiv getesteten Dopingsünder und ohne den verletzten Titelverteidiger Yohan Blake (Jamaika) ist Gatlin der einzig ernstzunehmende Konkurrent, der Bolt bei der WM noch bleibt.
Vor allem aber klebt der Generalverdacht, unter dem die Sprinter mittlerweile wieder stehen, an niemandem so hartnäckig wie an dem 2001 und 2006 schon einmal überführten Amerikaner. „Natürlich kriegt man einen Hals, wenn man sieht, wie Justin Gatlin, der schon zweimal gesperrt war, wieder munter mitläuft und bei Olympia auch noch Medaillen gewinnt“, sagte der deutsche 100- und 200-Meter-Meister Julian Reus der „Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung“.
Ein Blick in Gatlins Vita stärkt wirklich nicht gerade das Vertrauen in den weltweiten Anti-Doping-Kampf. Dank einer Reihe fragwürdiger Urteile und Entscheidungen hat der frühere Olympiasieger und Weltrekordhalter seine Karriere immer wieder fortsetzen dürfen.
2001 wurde ihm die Einnahme von Amphetaminen nachgewiesen. Eine ursprünglich zweijährige Sperre wurde jedoch auf ein Jahr reduziert, weil Gatlin anführte, nicht wissentlich gedopt zu haben, sondern seit seiner Kindheit Medikamente gegen ein Aufmerksamkeitsdefizit zu nehmen. Das führte auch dazu, dass er nicht als Wiederholungstäter galt, als er 2006 erneut positiv getestet wurde - diesmal auf die verbotene Substanz Testosteron. Gatlin wurde zunächst nur für acht Jahre statt wie bei Wiederholungstätern üblich lebenslang gesperrt und erwirkte später vor Gericht eine Halbierung selbst dieser Strafe.
So feierte der Amerikaner 2010 ein Comeback, gewann 2012 bei den Olympischen Spielen in London die Bronzemedaille und schlug Bolt in diesem Jahr erstmals beim Diamond-League-Meeting in Rom. Selbst das wäre nicht möglich gewesen, wenn die Vereinigung der europäischen Meetings nicht schon längst wieder einen Beschluss zurückgenommen hätte, einmal gedopten Athleten kein Startrecht mehr zu geben. Ein solcher Beschluss war rechtlich nicht zu halten.
Schon zweimal positiv getestet worden zu sein, unterscheidet Gatlin von Bolt. Ansonsten verfahren beide im Doping-Skandal um Powell und Gay nach der gleichen Strategie, nämlich diese Affäre so weit wie möglich von sich selbst wegzuschieben. „Ich glaube nach wie vor an diesen Sport. Das war nicht das erste Mal, dass es positive Tests gab. Das ist etwas, mit dem wir umgehen und das wir hinter uns lassen müssen“, sagte Gatlin in Monaco. Von dem Umgang mit dem Thema und dem „Hinter-uns-Lassen“ von Dopingvergehen hat schließlich kaum jemand so sehr profitiert wie er selbst.