Glänzende EM-Aussichten: Junges DLV-Team stark wie nie
Zürich (dpa) - Die Medaillenperspektive ist für die deutschen Leichtathleten seit zwölf Jahren nicht mehr so glänzend gewesen wie vor den Europameisterschaften in Zürich.
Das Fachmagazin „Leichtathletik“ hält 20 Edelplaketten für machbar und selbst ein nüchterner Analytiker wie Thomas Kurschilgen will sich diesem großen Optimismus nicht verwehren. „Es freut mich, wenn es solche Spekulationen und Medaillenerwartungen gibt“, sagte der Sportdirektor des Deutschen Leichtathletik-Verbandes (DLV). „Das heißt, viele glauben, wir bringen eine erfolgreiche Mannschaft an den Start.“
Die Vorleistungen der 92 in der Schweiz antretenden DLV-Asse nähren die Hoffnungen auf die beste EM-Ausbeute seit 2002 in München. Dabei beträgt der Altersdurchschnitt des deutschen Teams nur 25,2 Jahre - das jüngste Aufgebot seit 1990. Vor zwölf Jahren gewannen die Gastgeber 19 (2 Gold/9 Silber/8 Bronze) Medaillen. Bei der EM 2012 in Helsinki waren es drei Edelplaketten weniger, aber sechs aus Gold.
„Wir sind tendenziell stärker als vor zwei Jahren aufgestellt und ich hoffe, dass wir mindestens so gut wie in Helsinki abschneiden“, sagte DLV-Präsident Clemens Prokop, fügte aber relativierend hinzu: „Allerdings muss man berücksichtigen, dass die Konkurrenz in Zürich stärker sein wird, weil es reguläre Europameisterschaften sind und nicht welche in einem Olympia-Jahr.“
Gleich zum Auftakt will Weltmeister und Titelverteidiger David Storl im Kugelstoßring in der ersten von 47 Entscheidungen Gold holen. Die Motivation des 24 Jahre alten Chemnitzer dafür ist nicht allein die Aussicht auf einen weiteren Titel, sondern erstmals die 22-Meter-Marke zu übertreffen. „Ich hoffe, dass es etwas mehr Antrieb für die EM gibt. Meine Bestleistung habe ich bei Saisonhöhepunkten immer noch mal gesteigert“, sagte Storl.
Einen EM-Coup könnten die deutschen Zehnkämpfer landen - auch ohne Titelverteidiger Pascal Behrenbruch und den WM-Zweiten Michael Schrader. Das Trio Kai Kazmirek, Rico Freimuth und Arthur Abele wird hoch gehandelt. „Die Jungs sind heiß wie sonst was“, sagte Bundestrainer Rainer Pottel. Immerhin sind Kazmirek (8471 Punkte) und Freimuth (8356) derzeit Europas Nummer eins und zwei. „Das sind Punktzahlen, mit denen man im Kampf um die Medaillen mitreden kann.“
Titel verteidigen! Nichts anderes zählt auch für Diskus-Riese Robert Harting. „2014 ist ein Übergangsjahr auf dem Weg zu Olympia. Da ist der Erfolg nicht ganz so wichtig“, sagte der Olympiasieger aus Berlin. „Ich hoffe aber trotzdem, dass ich bei der EM Gold gewinne.“
„Heiße Eisen“ auf Medaillengewinne sind im deutschen Team längst nicht mehr nur die Techniker. Neben Weitspringer Christian Reif, Hammer-Weltrekordlerin Betty Heidler oder Kugelstoß-Vizeweltmeisterin Christina Schwanitz rechnen sich diesmal sogar eine Handvoll Läufer Chancen auf die Plätze eins bis drei aus. Dazu zählt der deutsche Sprint-Rekordler Julian Reus, der nach seinen 10,05 Sekunden nun von einer Zeit mit einer Neun vor dem Komma träumt. Über 1500 Meter können der nationale Überraschungsmeister Timo Benitz und Senkrechtstarter Homiyu Tesfaye ganz weit vorne landen. Und über 5000 Meter hat sich der EM-Zweite Arne Gabius erneut viel vorgenommen.
Die außergewöhnlichen Prognosen sind nicht aus der Luft gegriffen: Immerhin sind derzeit 18 DLV-Athleten in der europäischen Bestenliste unter den Top vier platziert, weitere 30 unter den besten Acht. Schubkraft soll auch der ausgeprägte Mannschaftsgeist verleihen, mit dem man in Braunschweig im Juni die Team-EM gewonnen hat. Was für die Fußball-Nationalmannschaft „als einzigartig beschrieben wurde“, erklärte Kurschilgen, „ist bei uns implementiert“. Auch deshalb gehen die DLV-Stars „mit großem Selbstbewusstsein und ausgeprägten Mentalfähigkeiten“ in die sechstägigen Wettkämpfe.
Einziges „Sorgenkind“ ist diesmal ausgerechnet die deutsche Königsdisziplin Stabhochsprung. Nach Weltmeister Raphael Holzdeppe sagte am Samstag auch der Hallen-Vizeweltmeister Malte Mohr wegen Formschwäche überraschend ab. Zuvor mussten bereits Routinier Björn Otto sowie bei den Frauen Silke Spiegelburg und Martina Strutz verletzt passen. Einziger Hoffnungsträger ist damit der deutsche Meister Tobias Scherbarth aus Leverkusen.