Suche nach einem Schumann: Deutsche Läufer machen Mut
Zürich (dpa) - Als Motivation sieht sich Timo Benitz gern schon mal die Filme von Dieter Baumanns und Nils Schumanns Olympiasiegen an. Eines Tages will das 59-Kilo-Leichtgewicht von der LG Nordschwarzwald der schnellste Weiße bei Sommerspielen sein.
Für die am 12. August beginnenden Europameisterschaften in Zürich hat das Fachmagazin „Leichtathletik“ Benitz auf Platz 1 über 1500 Meter gesetzt. Im Laufbereich tut sich etwas hierzulande: Mittelstrecken-Bundestrainer Jens Boyde spricht von einem „zarten Pflänzchen“, Wolfgang Heinig, Cheftrainer für die Ausdauerdisziplinen, von einer „progressiven Entwicklung“.
Bei der EM müssen die deutschen Ausdauer-Talente und -Routiniers nicht den sonst so übermächtigen Läufern aus Kenia und Co. hinterher hetzen. Doch ganz so einfach ist es nicht: Immer mehr eingebürgerte Afrikaner starten auch für europäische Nationen. Wie der in Äthiopien geborene Homiyu Tesfaye von der LG Eintracht Frankfurt, der im vergangenen Jahr als WM-Fünfter glänzte und in dieser Saison bereits an zwei deutschen Uralt-Rekorden gekratzt hat. Mit 3:31,98 Minuten verpasste er nur knapp die 1500-Meter-Bestmarke von Thomas Wessinghage von 1980 (3:31,58). Auch zum Meilenrekord von Jens-Peter Herold (3:49,22 von 1988) fehlen dem 21-Jährigen in 3:49,86 nur ein paar Zehntel.
Bei den deutschen Meisterschaften in Ulm musste sich Tesfaye aber Benitz geschlagen geben. Der derzeitige Überflieger der Mittelstreckler hält sich selbst für eine „Wettkampfsau“ und hat einen fabelhaften Endspurt. Bemerkenswert ist, dass der 22-Jährige Luft- und Raumfahrttechnik in Friedrichshafen studiert und derzeit 35 Stunden die Woche beim Flugzeughersteller in Ottobrunn arbeitet und sagt: „Normalerweise habe ich nur fünf Stunden Schlaf.“ Dies hinderte ihn nicht daran, bei der Team-EM in Braunschweig die europäische Konkurrenz über 800 Meter abzuhängen und mit 1:46,24 Minuten eine Bestzeit aufzustellen. Posaunist bei der Blaskapelle im Musikverein Volkertshausen ist Benitz übrigens auch noch, in Zürich läuft er die 1500 Meter.
Auf der 800-Meter-Distanz gibt es den selbstbewussten Dennis Krüger. Dem früheren Fußballer hatten Ärzte 2008 nach einem komplizierten Patellasehnenabriss prophezeit, dass er nie wieder normal gehen kann. Heute ist der Läufer deutscher Meister über die doppelte Stadionrunde und absolviert nach eigener Aussage ein „Training á la Nils Schumann“, also viel auf Tempo.
Boyde kennt Benitz, seit dieser 13 ist. Ebenso wie Richard Ringer aus Friedrichshafen, der bei den nationalen Titelkämpfen über 5000 Meter überraschend Arne Gabius abgehängt hatte. Der wiederum war vor zwei Jahren in Helsinki hinter dem späteren Doppel-Olympiasieger Mo Farah (Großbritannien) strahlender Vize-Europameister. „Auffällig ist, dass diese Klasse-Läufer Erfolg im Sport und Beruf haben“, meinte Boyde nicht nur im Hinblick auf Benitz: „Arne Gabius ist Arzt, Richard Ringer hat ein Ingenieursstudium hinter sich.“
Sabrina Mockenhaupt hingegen ist Laufprofi und startet in Zürich über 10 000 Meter und im Marathon. Noch nie stand sie bei ihren vier Freiluft-EM-Teilnahmen auf dem Treppchen, nur bei Cross-Titelkämpfen. Dass die 33-Jährige von der LG Sieg auf diversen Strecken schon 39 Mal deutsche Meisterin war, ist auch ein Beweis für die mangelnde Konkurrenz über all die Jahre. „Im Langstreckenbereich gibt es einen großen Nachholbedarf, da fördern wie jedes kleines Sternchen“, sagte Heinig.
Der leitende Bundestrainer hatte in diesem Jahr schon mächtig Ärger, weil sich rund 30 Kadersportler in einem offenen Brief über ihn beschwert und ihm unter anderem mangelnde Kommunikationsfähigkeit und unangemessenen Umgangston vorgeworfen hatten. Die Sache sei aus der Welt, behauptet Heinig: „Es gab ein klärendes Gespräch mit der Verbandsleitung und Athleten. Die Leistungen zeigen, dass wir auf dem richtigen Weg sind.“
Nach der EM wird es wohl noch einige strukturelle Veränderungen geben, jetzt stehen aber erstmal die Wettkämpfe im Vordergrund für die so kunterbunte deutsche Laufgemeinde. Boyde sieht dort einen „Aufbruch“ und meinte: „Wir wissen natürlich, dass es bei der WM nächstes Jahr in Peking zehnmal schwerer wird. Aber wir wollen mit geschwellter Brust aus der EM rausgehen und sagen: Jetzt haben wir zwei Jahre Zeit, um bei den Olympischen Spielen in Rio ins Finale zu kommen.“ Für Heinig wäre es natürlich das Schönste, „wenn wir wieder mal einen Baumann oder Schumann hätten“.