Glücks-Oma: Prothesenspringer Rehm bei Marktplatz-Show
Nürnberg (dpa) - Sogar Oma Maria ist beim Nürnberger Marktplatz-Spektakel als Glücksbringer dabei, doch deutscher Weitsprung-Meister wird ihr Enkel am Freitagabend ganz sicher nicht. Denn der Titelverteidiger kann seinen Titel nicht verteidigen.
Paralympics-Sieger Markus Rehm, Weltmeister, Weltrekordler, Europameister und deutsche Meister, darf wie vor einem Jahr in Ulm im Männerfeld der Nicht-Behinderten starten - als Prothesen-Springer diesmal aber in einer getrennten Wertung.
„Ich freue mich tierisch drauf. Meister kann ich ja nicht mehr werden, Sieger möchte ich auch nicht genannt werden, falls es klappt. Aber ich will die Tages-Bestweite - das ist die richtige Aussage“, sagte der 26-Jährige der Deutschen Presse-Agentur. „Natürlich klingt es erst mal hart, dass man seinen Titel nicht verteidigen kann. Aber die jetzige Lösung ist in Ordnung“, betonte der Schützling von Trainerin Steffi Nerius, die beide schon seit sechs Jahren beim TSV Bayer 04 Leverkusen ein erfolgreiches Team sind.
Rehm hatte in Ulm als erster Behindertensportler den Weitsprung bei den Nichtbehinderten gewonnen - mit 8,24 Metern vor dem mittlerweile zurückgetretenen Christian Reif (8,20). Trotz erfüllter EM-Norm war er vom Deutschen Leichtathletik-Verband (DLV) nicht nominiert worden. Biomechanische Messungen hätten gezeigt, dass er durch seine Karbon-Prothese im Vorteil gegenüber nichtbehinderten Springern gewesen sein soll. Doch das ist umstritten - und bis heute nicht erwiesen. Seinen Titel durfte Rehm also behalten.
Doch weitaus wichtiger war, dass das DLV-Präsidium den Paragrafen 144.3c ins Regelwerk eingefügt hat: Sowohl um die Inklusion zu fördern als auch Athleten mit und ohne Behinderung Rechtssicherheit zu verschaffen. „Das ist eine gute Zwischenlösung. Das ist für mich völlig okay“, meinte Rehm. Denn „eine allgemeingültige Lösung im Weitsprung, das wird nicht möglich sein“. Mit 8,29 Metern ist der unterschenkelamputierte Athlet Weltrekordler in seiner Startklasse T/F 44.
Die Crux der ewigen Diskussion: Verschafft sich der Orthopädietechniker-Meister mit seiner Hightech-Prothese einen unerlaubten Vorteil? Und wiegt damit die Nachteile auf? Für eine allgemeingültige Regelung wäre wohl ein umfangreiches wissenschaftliches Gutachten erforderlich. Rehm möchte auch die Nachteile, zum Beispiel die geringere Anlaufgeschwindigkeit eines einseitig amputierten Weitspringers, berücksichtigt wissen. Und er wünscht sich „Fairness von beiden Seiten“.
Fair Play geht vor Inklusion - das ist auch das Credo von Gerhard Janetzky, seit 2013 Inklusions-Beauftragter des DLV. „Wir sind sehr daran interessiert, das Thema generell aufzuarbeiten. Aber nicht im Sinne einer Lex Rehm“, betonte der langjährige ISTAF-Manager. „Wir wollen eine Regelung, die nicht nur auf den Einzelfall abzielt.“
Der DLV möchte ein Gutachten auf den Weg bringen, zusammen mit dem Deutschen Behindertensportverband. Die Gesamtkosten einer solchen Expertise wären beträchtlich, Janetzky veranschlagt sie auf „eine mittlere sechsstellige Summe, zwischen 200 000 und 400 000 Euro“. Aber ist es das wert?
„Die jetzige Regelung war ein Schritt in die richtige Richtung - sie schafft Rechtssicherheit für alle Athleten“, sagte DLV-Cheftrainer Idriss Gonschinska der dpa in Bezug auf den Paragrafen 144.3c. „Im Moment ist das die einzige Lösung, die wir haben und die allen gerecht wird.“ Von Rehm ist der Leipziger begeistert. „Der Markus ist schon ein außergewöhnlicher Athlet. Ich habe ihn letztes Jahr Skateboard fahren sehen - das war schon fantastisch“, erzählt Gonschinska. „Ich glaube, er kann bei optimalen Bedingungen noch deutlich weiter als bisher springen.“