Mütter bei der WM: Spagat zwischen Familie und Sport
Frankfurt/Main (dpa) - Speerwerferin Christina Obergföll sowie die Siebenkämpferinnen Jessica Ennis-Hill und Jennifer Oeser sind seit vielen Jahren Weltklasse und kennen die Leichtathletik von Kindesbeinen an.
Und doch ist diesmal alles anders.
In Peking treten sie bei der Weltmeisterschaft erstmals als Mütter an. „Ich bin gespannt, was passiert, wenn ich mal zehn Tage voll aufs Speerwerfen konzentriert bin“, sagt Titelverteidigerin Obergföll. Die Offenburgerin findet den Spagat zwischen Familie und Leistungssport „generell schon schwierig“.
Ennis-Hill, als Olympiasiegerin 2012 von London ein gefeierter Star in ihrer Heimat, brachte vor einem Jahr Söhnchen Reggie zur Welt. Im Mai feierte sie beim Mehrkampf-Meeting in Götzis als Vierte mit 6520 Punkten ein starkes Comeback. Da zweifelte die 29-Jährige noch etwas, ob die WM nicht zu früh komme. „Es läuft in die richtige Richtung“, sagt sie jetzt aber. „Ich komme zur rechten Zeit in Form.“ Sie werde nach China fliegen und „will eine Medaille“.
Vorbilder für erfolgreiche Mütter gibt es genug. Die tschechische Speerwurf-Weltrekordlerin und -Olympiasiegerin Barbora Spotakova gewann vergangenen Sommer nur 15 Monate nach der Geburt von Janek EM-Gold. Kugelstoßerin Astrid Kumbernuss wurde mit Nachwuchs einst Weltmeisterin, Weitspringerin Heike Drechsler sogar zweimal Olympiasiegerin. Und Englands Marathon-Weltrekordlerin Paula Radcliffe feierte neun Monate nach der Entbindung von Isla den Sieg beim Rennen in New York. Im Ziel ließ sie sich mit dem Baby auf dem Arm feiern.
„Du warst nicht verletzt, sondern schwanger“, sagte Trainer Werner Daniels mal zu Obergföll. Körperlich tut den meisten eine Auszeit vom Leistungssport sogar richtig gut. So sind bei der deutschen Hochsprung-Rekordhalterin Ariane Friedrich die jahrelangen Knieprobleme verschwunden. „Sie trainiert ausgezeichnet“, berichtete ihr Trainer Günter Eisinger. Die Frankfurterin brachte im September Tochter Amy zur Welt, Vater ist Bob-Olympiasieger André Lange. In der Hallen-Saison wird sie möglicherweise wieder einsteigen.
Zu kämpfen haben die Sport-Mütter eher mit der Organisation des Alltags und mit den kurzen, häufig unterbrochenen Nächten. „Im ersten Moment hat man das Gefühl, dass man Bäume ausreißen kann“, erzählte Obergföll. „Dann schwächt sich die Euphorie schon ab. Man ist manchmal einfach weniger belastbar.“
Ihre frühere russische Rivalin Maria Abakumowa war fünf Tage vor der Offenburgerin ebenfalls Mutter geworden - von Zwillingen. Kürzlich trat die Weltmeisterin von 2011 in Moskau wieder zu einem Wettkampf an und zog enttäuscht von dannen. „57,24 Meter, das klingt sehr lächerlich“, klagte sie. „Ende der Saison 2013 hatte ich als schlechtestes Ergebnis etwas mit 64 Meter. Es ist traurig, auf ein solches Niveau zu fallen.“
Auch Hochsprung-Olympiasiegerin Heike Henkel wollte nach der Geburt von Sohn Ravn 1994 schnell zurück an die Spitze. Sie wurde dann bei der EM in Helsinki 1994 aber nur Elfte und verpasste bei der WM in Göteborg das Finale - genauso wie die Teilnahme an den Sommerspielen 1996 in Atlanta.
Siebenkämpferin Jennifer Oeser wollte es erstmal „gemächlich“ angehen lassen, nachdem sie ihren Jakob zur Welt gebracht hatte. Neun Monate später hatte die Vize-Weltmeisterin von 2009 mit ihren 6306 Punkten von Ratingen aber das WM-Ticket für Peking in der Tasche. Zwei Wochen nach der Geburt hatte Oeser mit Fahrradfahren angefangen, vier Wochen danach mit leichtem Lauftraining, drei Monate später mit ernsthaften Übungseinheiten. Die Leverkusenerin glaubt, „dass man durch diesen Hormonhaushalt belastbarer ist“.
Auch psychisch hat so manche Mutter einen Vorteil aus der veränderten Lebenssituation gezogen. „Man merkt irgendwie, was wichtig ist im Leben und was nicht“, meint Obergföll und betont: „Ich will jetzt aber nicht verlieren, nur weil ich eine Familie habe.“ Jessica Ennis-Hill, Siebenkampf-Weltmeisterin von 2009, sagt: „Wenn ich in Rio als Mutter Olympiasiegerin werden könnte, wäre das unglaublich.“