Nach Olympia-Bann: Russland droht weiteres Ungemach

Wien (dpa) - IOC-Präsident Thomas Bach steht vor der größten Herausforderung seiner Amtszeit, denn der Ruf nach einem kompletten Rio-Verbot der Sportmacht Russland wird immer lauter.

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Der Weltverband IAAF hat bereits Russlands Leichtathleten, die sich systematisch in die Weltspitze gedopt haben und kaum Reformwillen zeigen, am Freitag in Wien ohne Pardon von Olympia ausgeschlossen.

DLV-Präsident Clemens Prokop fordert nach dem Ausschluss der russischen Leichtathleten angesichts der gravierenden Dopingprobleme auch in anderen Sportarten und weiteren Ländern eine „neue Front“ zu eröffnen. „Das kann nur der Anfang und darf nicht der Endpunkt für einen weltweiten Kampf gegen Doping sein“, sagte der Chef des deutschen Verbandes DLV.

Russland habe in dieser Hinsicht nicht nur ein Problem mit der Leichtathletik, sondern mit der gesamten Sportorganisation des Landes. Es müsse über den „Ausschluss der russischen Mannschaft insgesamt“ bei internationalen Wettkämpfen nachgedacht werden. „Mir fehlt der Glaube, dass sich ein systemisches Doping in Russland ausschließlich auf die Leichtathletik in diesem Lande beschränkt“, pflichtete DLV-Sportdirektor Thomas Kurschilgen seinem Chef bei.

Dazu passt: Die Russland-Taskforce der IAAF mit Leiter Rune Andersen empfahl die seit November 2015 dauernde Suspendierung mit der Begründung zu bestätigen, dass die Anti-Doping-Agentur des Landes (RUSADA) erst in 18 bis 24 Monaten voll regelkonform arbeiten wird.

Schon am Dienstag wird sich auch das Internationale Olympische Komitee (IOC) mit der brisanten Frage beschäftigen, ob Russland olympia-tauglich ist. Bach will beim IOC-Summit in Lausanne mit den olympischen Interessengruppen über das Problem Kollektivstrafe kontra individuelles Recht von Athleten diskutieren und eine gemeinsame sportpolitische Strategie in der Causa Russland entwickeln.

Schließlich ermittelt eine Kommission der Welt-Anti-Doping-Agentur WADA unter Leitung von Richard McLaren, ob der Vorwurf wahr ist, dass bei den Winterspielen 2014 in Sotschi Geheimdienstmitarbeiter des russischen Gastgebers - wohl auf Geheiß staatlicher Stellen - positive Proben eigener Sportler im Kontrolllabor ausgetauscht und vertuscht haben. Der WADA-Report soll bis zum 15. Juli vorliegen. 15 der 33 russischen Medaillengewinner in Sotschi sollen gedopt gewesen sein.

Dass der Vorwurf wohl nicht aus der Luft gegriffen ist, konnte man in der WADA-Stellungnahme zum IAAF-Urteil („Es muss einen Kulturwandel bis in die Regierung hinein geben“) mit Bezug auf die Leichtathletik lesen. Darin wird Ermittler McLaren mit der Aussage zitiert, dass es „ausreichend erhärtete Beweise“ für „obligatorische, staatlich gelenkte Manipulationen“ von Doping-Proben im Moskauer Kontrolllabor gegeben habe - und das mindestens von 2011 bis zur Leichtathletik-WM 2013 in der russischen Hauptstadt.

Die IAAF-Entscheidung könnte auch für das IOC wegweisend sein, da sie einzelnen, nachweislich sauberen Sportlern aus Russland noch ein Schlupfloch zu den Sommerspielen offen gelassen hat. „Es ist nur ein ganz enger Spalt in der Tür“, sagte Andersen, dessen IAAF-Taskforce für Russland den Bann mit Hintertür empfahl. Um in Rio unter neutraler Fahne starten zu können, braucht es nicht nur eine ausreichende Anzahl von Tests, sondern auch den Nachweis dafür, sich außerhalb des „verdorbenen Systems“ bewegt zu haben.

Was wird das IOC mit ihrem Chefdiplomaten Bach tun? Vielleicht sogar den von der IAAF verfügten Olympia-Bann auf Druck Russlands noch aufheben? „Die IAAF ist zuständig für die Zulassungskriterien“, erklärte IAAF-Präsident Sebastian Coe resolut.

Nicht zu erwarten ist, dass Russland sich mit dem Olympia-Aus der Leichtathleten einfach abfindet. Für Präsident Wladimir Putin ist die kollektive Strafe nicht akzeptabel. Er verglich sie mit einer Gefängnisstrafe, die eine „ganze Familie“ treffen würde, wenn ein Verwandter etwas angestellt hätte.

Nicht bei Worten belassen wird es wohl der russische Leichtathletik- Verband WFLA, der eine Klage gegen den IAAF-Beschluss vor dem Internationalen Sportgerichtshof CAS prüft. Es gibt allerdings schon einen Präzedenzfall: Bulgariens Gewichtheber hatten gegen den Olympia-Ausschluss für Rio durch den Weltverband IWF Berufung beim CAS eingelegt. Vergeblich.