Röhler auf Gold-Kurs: Sternstunde mit Standing Ovations
Turku (dpa) - Zum Träumen war er nachts einfach zu müde, aber Gänsehaut bekam er auch am Morgen danach noch mal. Im Vaterland des Speerwurfs hat Thomas Röhler für eine Sternstunde der Leichtathletik gesorgt.
„Zweimal in einem Wettkampf über 91 Meter, zweimal Standing Ovations von 15 500 Zuschauern, von den angeblich so kühlen Finnen. Und das ist in einem Land, wo Speerwurf Volkssport Nummer 1b ist - das ist schon etwas ganz Besonderes“, sagte der 24-Jährige vom LC Jena am Donnerstag der Deutschen Presse-Agentur beim Zwischenstopp auf dem Stockholmer Flughafen. „Das macht einen super stolz.“
Röhler war am Mittwochabend die Attraktion bei den 54. Paavo-Nurmi- Games in Turku. Im dritten Versuch haute der Thüringer den Wurf raus, von dem ein Speerwerfer meist ein ganzes Leben lang träumt: 91,28 Meter! Und auch im fünften Durchgang riss er die Fans noch mal von den Sitzen: 91,04. „Bei den 91,28 habe ich die Arme hochgerissen. Wenn man dann von hinten nur noch den berühmten Punkt vom Speer sieht“, erklärt der Thüringer, „dann kommt es dem perfekten Wurf schon ziemlich nahe. Aber mit dem Speerwerfen ist man nie fertig.“
Seit 20 Jahren hat kein deutscher Athlet sein 800 Gramm schweres Arbeitsgerät weiter geworfen. Und auch nur der Magdeburger Raymond Hecht steht in der „ewigen“ Rangliste mit 92,60 Metern vor ihm. Röhler ist jetzt die Nummer 11 in der Welt, „sein“ Bundestrainer Boris Obergföll fiel auf Platz 14 zurück. Dennoch war auch der frühere Weltklasse-Athlet begeistert. „Phänomenal! Das ist wie ein 100-Meter-Sprint unter 9,90 Sekunden“, sagte er der dpa.
Nur 15 Männer haben mit dem neuen Speer bisher die 90-Meter-Marke geknackt - Röhler gehört nun dazu. „Das hatte sich ja schon angedeutet. Thomas ist ein Perfektionist. Ich hoffe, er baut sich nun vor Olympia nicht zu viel Druck auf“, meinte Obergföll, Mann von Speerwurf-Ass Christina Obergföll. „Er könnte der erste deutsche Speerwerfer nach Klaus Wolfermann werden, der nach 44 Jahren wieder Olympia-Gold holt.“
Erst kurz vor Mitternacht kam Röhler aus dem Paavo-Nurmi-Stadion, um 4.00 Uhr musste er schon wieder aus den Federn. Doch Genugtuung und Stolz verdrängten die Müdigkeit. Erst seit 2009 wirft der Student für Wirtschaft und Sport den Speer, vorher war der drahtige und kräftige Mann Dreispringer. „Den Traum von den 90 Metern hegt man sehr, sehr früh“, gab der WM-Vierte von Peking zu. „Der motiviert einen jeden Tag im Training.“ Und nun gleich zwei 91er. „In einem Wettkampf hat das bisher nur Weltrekordler Jan Zelezný geschafft“, versichert der Schützling von Trainer Harro Schwuchow.
Die Reaktionen waren noch am Abend überwältigend, verriet Röhler, „sehr, sehr viele haben sich mit mir gefreut“. Gefühlt „tausende Leute“ hätten ihm geschrieben und gratuliert. In Deutschland ging die Nachricht in der Fangemeinde wie ein Lauffeuer herum. „Viele konnten sich den Wettkampf noch einmal auf Eurosport ansehen“, sagte er.
Ganze 23 Zentimeter fehlten ihm im Vorjahr in Peking zu einer WM-Medaille - das soll dem ehrgeizigen Sportprofi nicht ein zweites Mal passieren. Und eigentlich gibt es vor der Leichtathletik-EM in Amsterdam (6. bis 10. Juli) nur eine Frage: „Röhler, wer sonst?“