Schult und sein Weltrekord: „Staub und Schimmel“

Frankfurt/Main (dpa) - Am 6. Juni 1986 schleudert Jürgen Schult die Diskus-Scheibe in Neubrandenburg auf 74,08 Meter hinaus. Bis heute ist dieser Weltrekord unübertroffen. Eine Bestmarke exemplarisch für den schwierigen Umgang mit Leistungen aus der Anabolika-Hoch-Zeit.

Nein, Jürgen Schult will nicht mehr über seinen Weltrekord sprechen. „Genauso ist es“, meint der Diskus-Olympiasieger von 1988, Weltmeister von 1987 und Europameister von 1990 freundlich, aber bestimmt. „Ich habe das vor langer Zeit so entschieden und bitte, das zu akzeptieren.“ Aber ein bisschen was sagt der heutige Wurf-Bundestrainer dann doch über jene 74,08 Meter vom 6. Juni vor 25 Jahren, an der Dopingverdächtigungen kleben wie sonst Grashalme an der Zwei-Kilo-Scheibe.

Schult verbesserte 1986 bei der EM-Qualifikation der DDR in Neubrandenburg den drei Jahre alten Weltrekord des Sowjetrussen Juri Dumtschew gleich um 2,22 Meter. „68 Meter hatte ich mir zugetraut, vielleicht 70, in meinen kühnsten Träumen 72 Meter“, sagte er damals. In den Doping-Enthüllungen der Heidelberger Brigitte Berendonk und Werner Franke ist nachzulesen, dass Schult von 1981 bis 1984 hohe Dosen Oral-Turinabol erhielt - unter welchen Umständen, ist nicht bekannt.

Der heute 51-Jährige hat stets bestritten, dass er anabole Steroide benutzt hat. „Es ist nicht wichtig, was in der Zeitung steht“, erklärt Schult. „Die Menschen, die alles von mir wissen sollen, die wissen alles.“ Eine öffentliche Bekenntnis zum Doping jener Zeit könnte ihn seinen Job kosten.

Der Deutsche Leichtathletik-Verband (DLV) hat längst versucht, solche umstrittenen Weltrekorde loszuwerden - vergeblich. Er scheiterte vor über einem Jahrzehnt mit dem Versuch, beim Weltverband IAAF alle Weltrekorde streichen zu lassen und mit Beginn des neuen Jahrtausend angesichts eines verschärften Kontrollsystems die Liste neu zu beginnen.

Er scheiterte auch dabei, die Streichung der Bestmarken wenigstens auf nationaler Ebene zu erreichen. Und er kam auch auf dem juristisch schwierigen Weg nicht weiter, als er es mit Einzelfallprüfungen versuchte, da so mancher betroffener Athlet mit massiven Schadenersatzforderungen drohte. An dieser Diskussion will sich Schult weiter nicht beteiligen: „Für mich ist das belanglos.“

„Generell stehen wir im Verband dem Rekorddenken sehr differenziert gegenüber“, erklärt DLV-Präsident Clemens Prokop. Obwohl außerhalb von Sommerspielen und Weltmeisterschaften immer noch Bestmarken für dicke Schlagzeilen sorgen, versucht der DLV, auf die Spannung des Wettkampfs zu setzen. Im Fall Schult hatte der Verband nach Angaben Prokops eine Reihe intensiver Gespräche geführt, als dieser nach seiner Karriere zunächst als Disziplintrainer beschäftigt wurde. Diese hätten ergeben, „dass er als Bundestrainer geeignet ist. Er hat überzeugend erklärt, dass er für sauberen Sport steht.“

Die Weltelite im Diskusring ist gar nicht mehr weit weg von Schults 74,08 Meter. Der Litauer Virgilijus Alekna steht mit seinen 73,88 von 2000 in den „ewigen“ Bestenlisten. Gerd Kanter (Estland) warf 2006 73,39 Meter. Der Chemnitzer Lars Riedel, Olympiasieger von 1996 und fünffacher Weltmeister, kam einst auf 71,50. Weltmeister Robert Harting (Berlin) hat eine Bestweite von 69,69 Meter.

„Ich hoffe, dass bald endlich einer den Rekord übertrifft“, meint Schult in einem Interview des Fachmagazins „Leichtathletik“. Dann sagt er einen wahrlich nicht stolzen Satz, der sein ganzes Dilemma mit diesem Weltrekord andeutet: „Da ist ja schon Staub drauf und Schimmel dran.“