Über 10 Sekunden: Superstar Bolt gibt Rätsel auf
Ostrau (dpa) - Die große Bolt-Show fiel diesmal aus. Keine Scherze mit dem Publikum, keine Pose, in der er den berühmten Bogenschützen gab. Selbst die obligatorische Ehrenrunde legte der Superstar nach seinem schwachen Rennen in Ostrau mehr im Gehen als im Laufschritt zurück.
In 10,04 Sekunden war der Weltrekordhalter aus Jamaika am Freitagabend trotz seines Sieges die schwächste 100-Meter-Zeit gelaufen, die bislang je bei einem Meeting- oder Meisterschafts-Finale für ihn gemessen wurde. Zwei Monate vor Beginn der Olympischen Spiele in London sorgte das für Rätselraten - vor allem bei Usain Bolt selbst.
„Ich bin wirklich überrascht, genau wie Sie wahrscheinlich auch“, sagte der 25-Jährige sichtlich konsterniert zu Journalisten. „Ich war gut vorbereitet und auch nicht nervös. Aber ich habe mich nicht so stark gefühlt wie sonst, wenn ich aus den Startblöcken komme. Meine Beine fühlten sich wie tot an. Und ich weiß nicht, woran das lag. Wahrscheinlich war das einer dieser schlechten Tage.“
10,04 Sekunden über 100 Meter wären für jeden deutschen Sprinter ein Grund, ein Fass aufzumachen, aber für den schnellsten Mann der Welt ist dieses Ergebnis ein kleiner Schock. Bolts Weltrekord liegt bei 9,58 Sekunden, vor drei Wochen lief er in Kingston fast aus dem Stand heraus 9,82. Sein Ziel für Ostrau war eigentlich eine Zeit „um die 9,7 Sekunden“, wie er vorher gesagt hatte. 10er-Zeiten dagegen rennt der dreifache Olympiasieger sonst nur in den Vorläufen großer Meisterschaften, wenn er ab der Hälfte der Distanz locker austrabt. Von solchen Rennen einmal abgesehen, stand die „10“ bei ihm zuletzt im Juni 2009 vor dem Komma, bei einem Meeting in Toronto.
„Ich muss mir das Rennen jetzt noch einmal anschauen und mit meinem Coach sprechen“, sagte Bolt in Ostrau. Denn mindestens genauso sehr wie 10,04 Sekunden an sich setzte ihm der Umstand zu, dass er sich diese Zeit so schwer erklären kann. Sicher, Bolt hatte leichten Gegenwind, und sein Start war miserabel. „Aber ich habe viele Starts trainiert zuletzt. Die waren immer sehr gut“, meinte er.
Auch die üblichen Erklärungsansätze wie Form-, Verletzungs- oder Motivations-Probleme scheiden eher aus. Der Jamaikaner war bereits am Mittwoch - und damit früher als die meisten anderen Athleten - in Ostrau angekommen. Noch bei seiner Pressekonferenz hatte er betont, wie gut er trainiere und in Form sei. Schließlich hatte er zuvor in Kingston den besten Saisonstart seit vier Jahren hingelegt.
Bolts Problem ist, dass er sich eine Schwächephase in diesem Jahr kaum leisten kann. Denn seit seinem denkwürdigen Fehlstart bei der WM 2011 liefert er sich ein Fernduell mit dem neuen Weltmeister Yohan Blake. Beide laufen zwar noch nicht gegeneinander, aber sie treiben sich gegenseitig an. Sein drei Jahre jüngerer Rivale ist für Bolt genau das, was er schon langsam verloren geglaubt zu haben schien: ein würdiger Gegner und damit auch eine neue Herausforderung.
Zum Showdown zwischen den beiden wird es erst bei den jamaikanischen Trials im Juni und bei den Olympischen Spielen in London kommen. Bis dahin will und muss der Titelverteidiger „weiter hart arbeiten“, wie er in Ostrau sagte. Als er das Stadion dort verließ, klang er schon wieder etwas kämpferischer. „Ich weiß immer noch, was ich in diesem Jahr erreichen will und dafür tun muss“, sagte Bolt. „Am Donnerstag in Rom will ich wieder besser sein.“
Die drei schnellsten 100-Meter-Zeiten von Usain Bolt:
1. 9,58 Sekunden (16.08.2009 in Berlin)***
2. 9,69 Sekunden (16.08.2008 in Peking)
3. 9,72 Sekunden (31.05.2008 in New York)
Die drei schlechtesten 100-Meter-Final-Zeiten von Usain Bolt:
1. 10,04 Sekunden (25.05.2012 in Ostrau)
2. 10,03 Sekunden (08.03.2008 in Spanish Town)
10,03 Sekunden (18.07.2007 in Réthimno)
***aktueller Weltrekord