Ultra-Marathon: Qualen nonstop über 26 Stunden
Woltersdorf (dpa) - Er ist erst der zweite Deutsche, der den berühmtesten Ultra-Marathon der Welt gewann: Stefan Stu Thoms aus dem brandenburgischen Woltersdorf unweit Berlins. Der Extremlauf bei 38 Grad über 246 Kilometer von Athen nach Sparta forderte das Letzte von den Läufern.
Stu strahlt noch immer. Auch zehn Tage nach seinem grandiosen Erfolg in Sparta umgibt Stefan Thoms ein glückliches Lächeln. Zurück im Kreise seiner Familie, Freunde und Sportkameraden erzählt der 46-Jährige mit ansteckender Begeisterung von den unvergesslichen Erlebnissen im Land der Antike. Und das „noch immer platt“, wie er lächelnd sagt, aber mit großer Leichtigkeit und fernab aller Qualen und Zweifel, die sich im Laufe des 246 Kilometer langen Rennens über mehr als 26 Stunden hinweg breitmachen wollten.
„Dieser Sieg ist für mich bis heute unglaublich“, gesteht der seit fünf Jahren in Woltersdorf am Stadtrand Berlins lebende Extremsportler. „Für Läufe in dieser Dimension kann man einen Sieg einfach nicht planen, nur sein eigenes Rennen“, sagte Thoms, den alle nur Stu - nach seinem Vornamen Stefan Ullrich - nennen, beim Empfang in seinem Heimatsportverein SV 1919 Woltersdorf.
Er leistete sich den Luxus, bereits eine Woche vor dem Start in Athen zu sein, sich an die extreme Hitze von 38 Grad zu gewöhnen und sein Rennen detailliert zu planen. So drosselte er schließlich nach 40 Kilometern sein Tempo: „Ich war dort mit vier Stunden zu flott, die Sonne brannte erbarmungslos. Also: ruhiger weiter.“
Bei Halbzeit beobachtet er, wie der japanische Vorjahreszweite ausstieg - nicht nur er musste der Hitze Tribut zollen. Von den 310 Startern erreichten nur 72 das Ziel - eine solche Ausfallquote gab es noch nie. In der Dunkelheit erreichten die Läufer den Sangas-Pass mit dem 1200 Meter hoch gelegenen Parthenio, der höchsten Erhebung auf dem Weg nach Sparta. Rund 600 Höhenmeter sind bis zum Gipfel zu bewältigen. Ein Scharfrichter? „Nein“, sagt der in Berlin geborene Thoms. „Scharfrichter ist nur der eigene Kopf. Du musst an deine Grenzen gehen, sie verschieben. Sonst stehst du diese gewaltigen Strapazen nicht durch.“
Dennoch gab es vor diesem Berg die kritischste Situation. Das Begleitfahrzeug überholte ihn auf dem Schotterweg so rasant, dass er nur noch Staub atmete, taumelte und stürzte. „Ich hatte Glück und habe mich nicht verletzt.“ Nach 162 km kam eine Kontrollstation am Fuße des Berges. Der Japaner Kiso verließ sie gerade als Erster. Thoms nahm nach einer Brühe, einer Cola und seiner spezielle Mixtour „Malto“ als Zweiter die engen Serpentinen in Angriff, so steil, dass er manchmal auf allen Vieren hinauf kroch. Doch er hatte das Licht von Kisos Kopflampe vor Augen. „Ich sah seine Arme schlenkern, die Füße stampfen, er lief nicht mehr ,rund'. Da können einem schon mal Flügel wachsen“, erinnerte er sich. 55 Kilometer vor dem Ziel enteilte er Kiso. Sekt oder Selters: „Ich kannte den Weg mit seinen vielen Windungen, für Verfolger schlecht einsehbar. Meine Chance!“
Ständig lief im Dunkel der Zweifel mit: Kommen die Verfolger? Breche ich ein? Schaffe ich es bis ins Ziel? Immerhin wartete noch eine „normale“ Marathonstrecke bis zur Statue von König Leonidas im Ziel von Sparta. Als das Morgenrot langsam hervorschlüpft, wächst seine Zuversicht. Thoms, das Greenhorn, das erst seit 2009 Ultraläufe bestreitet, schildert: „Das Bauchkribbeln nimmt zu. Es muss reichen!“ Begeisterung trägt ihn bis ins Ziel.
Tausende Menschen säumen die Straßen in Sparta, als Thoms als einsamer Läufer vor ungläubiger Freude sogar ein Stück mit dem Rücken voran läuft. Dann die letzten Stufen hinauf zum König. Stu berührt mit beiden Händen ehrfurchtsvoll die Füße, lässt den Kopf sinken, dreht sich zu den Jubelnden, hebt die Arme und schreit vor Glück. Er lacht, weint, schüttelt den Kopf und denkt: „Einfach unglaublich“.