EM-Lust nach WM-Frust Mini-Olympia als große Schwimmer-Chance
Glasgow (dpa) - Gute Laune und EM-Vorfreude statt WM-Frust: Die deutschen Schwimmer wollen ein Jahr nach den von sportlichen Enttäuschungen und Streitereien geprägten Weltmeisterschaften von Budapest nun in Glasgow bei den Europameisterschaften in einem völlig neuen Format auftrumpfen.
„Grundsätzlich fühlt sich jeder sehr gut“, sagte Chefbundestrainer Henning Lambertz im Tollcross International Swimming Centre, während seine Athleten im Becken hinter ihm trainierten.
Lagenspezialist Philip Heintz und Schmetterlingsschwimmerin Franziska Hentke, die 2017 mit Silber die einzige deutsche WM-Medaille holte, zählen zu den größten Hoffnungsträgern bei der Premiere der European Championships. Heintz sieht das neue Multisport-Event mit täglich stundenlanger TV-Präsenz zwei Jahre vor Olympia in Tokio als „Chance für uns Schwimmer, uns wieder in ein besseres Licht zu rücken“.
Bei den Olympischen Spielen 2016 blieben die deutschen Beckenschwimmer wie vier Jahre zuvor in London ohne Medaille. Im vergangenen Jahr sorgten zwischenmenschliche Probleme und Kritik an Lambertz rund um die WM in Ungarn für Negativ-Schlagzeilen. Nun hat der Chefbundestrainer eine „viel gelöstere Stimmung“ ausgemacht.
„Wir reißen uns genauso den Arsch auf wie andere Nationen, die zuletzt erfolgreicher waren“, sagt Heintz der Deutschen Presse-Agentur. „Das ist auch eine Chance zu zeigen, dass wir gar nicht so schlecht sind, wie wir manchmal dargestellt werden.“
Auch Lambertz gefällt die Idee, die Europameisterschaften der Schwimmer, Leichtathleten, Turner, Radsportler, Triathleten, Ruderer und Golfer zu bündeln. „Das hat was von Olympischen Spielen auf kleinerer, europäischer Ebene“, sagt er. Doch gerade bei der Ansammlung mehrerer Sportarten sind Erfolge Pflicht, um ein bisschen Glanz abzubekommen.
Unter anderem wegen des neuen Formats mit Wettkämpfen bis zum 12. August legt der Deutsche Schwimm-Verband (DSV) einen Schwerpunkt auf die Staffeln. „Durch die vielen Staffel-Teilnahmen erhöhen wir die Chance, auch nachmittags in den Finals präsent zu sein, wenn das Fernsehen überträgt“, sagt Lambertz, dessen Sportler von Freitag an um EM-Ehren schwimmen. „Alle deutschen Staffeln haben im Moment in Europa das Potenzial, ins Finale vorzudringen.“
Mit Blick auf die Einzelrennen tragen nicht nur Heintz und Hentke dazu bei, dass Lambertz „sehr optimistisch“ nach Schottland geflogen ist: Florian Wellbrock (20 Jahre/Magdeburg) hält in 14:40,69 Minuten die Weltjahresbestzeit über 1500 Meter Freistil. Sarah Köhler (24/Frankfurt) liegt über die gleiche Distanz im europäischen Vergleich der Frauen auf Rang zwei. Die Rückenschwimmer Christian Diener (25/Potsdam) und Lisa Graf (25/Neukölln) haben ebenfalls Chancen auf Edelmetall.
Bei den deutschen Meisterschaften vor knapp zwei Wochen ließ zudem Youngster Ramon Klenz aufhorchen. Der 20-Jährige knackte über 200 Meter Schmetterling in 1:55,76 Minuten den 32 Jahre alten deutschen Rekord von „Albatros“ Michael Groß. In Glasgow, wo er am Donnerstag seinen 20. Geburtstag feierte, freut er sich auf seine EM-Premiere: „Es ist schon cool hier“, sagte Klenz nach den ersten Eindrücken. Eine konkrete Medaillenprognose gibt Lambertz nicht ab. Das Ziel sei, dass die Sportler ihre Qualifikationszeiten verbessern.
Das kann Brustschwimmer Marco Koch in Schottland nicht. Der Weltmeister von 2015 scheiterte auf der 200-Meter-Strecke an der vom DSV geforderten EM-Norm und ist in Glasgow nicht dabei. Dem 28-Jährigen Darmstädter half auch der neue Modus nicht: Anders als noch 2017 mussten sich die Sportler nicht bei den nationalen Titelkämpfen qualifizieren, sondern hatten rund drei Monate Zeit, das Ticket für den Saisonhöhepunkt zu lösen.
Während Koch also Urlaub machen kann, wollen Wellbrock und Köhler sogar in zwei Disziplinen an den Start gehen. Freiwasser-Bundestrainer Stefan Lurz plant sie als „Geheimwaffe“ für das Teamrennen über 4 x 1,25 Kilometer ein. Nach der Nullnummer bei der WM 2017 seien bei den Open-Water-Wettkämpfen in Loch Lomond insgesamt „zwei bis drei Medaillen“ drin, sagt Lurz.
Bei den Wasserspringern ruhen die größten Hoffnungen einmal mehr auf Rekordeuropameister Patrick Hausding. Der 29-jährige Berliner plagte sich in diesem Jahr lange mit Verletzungen herum, sei nun aber wieder belastbar, erklärt Bundestrainer Lutz Buschkow. Für den Trainer ist die EM „eine hochwertige Zwischenstation“ auf dem Weg nach Tokio.
Das gilt auch für seine Kollegen in den anderen Disziplinen: Klein-Olympia wird andeuten, wo die Schwimmer, Wasserspringer und Synchronschwimmerinnen, die ebenfalls dabei sind, zur Halbzeit der Vorbereitung auf die Spiele stehen.