Lando Norris hatte so gar keine Lust auf die Fragen der Reporter. Schon am ersten Tag des zweiten Formel-1-Wochenendes musste der WM-Spitzenreiter vor den Kameras in Shanghai erklären, warum er es trotz des schnellsten Autos nicht auf die Pole Position schaffte. „Das war mein Fehler“, sagte der britische McLaren-Fahrer merklich angefressen: „Ich habe zu viel Druck gemacht, vielleicht muss ich mich da etwas zurücknehmen.“
Ein Verbremser kostete den 25-Jährigen den von vielen schon sicher geglaubten ersten Startplatz für den Sprint in China am Samstag (4.00 Uhr/RTL und Sky), auf dem stattdessen ziemlich überraschend Lewis Hamilton im Ferrari steht. Und schon vor dem ersten Kurzrennen des Jahres über rund 100 Kilometer kommt die Frage auf: Hat Norris das Zeug zum Weltmeister und kann vor allem gegen den eiskalten Max Verstappen bestehen?
Am vergangenen Sonntag glänzte Norris in Melbourne und entriss Champion Verstappen nach langen 1029 Tagen mit einem Sieg erstmals den Spitzenplatz in der Gesamtwertung. „Es gibt nichts zu feiern“, sagte Norris nach seiner Ankunft in China schon und war merklich bemüht, jede Euphorie zu vermeiden: „Ich hatte ein gutes Wochenende, aber wir sollten uns alle mal beruhigen.“
Verstappen sieht „viel Arbeit“ für Siege vor sich
Die Erwartungen an den Vizeweltmeister sind gestiegen - und damit auch der Druck. Auch beim Großen Preis von China am Sonntag (8.00 Uhr/Sky und RTL) galt Norris als unbezwingbarer Favorit, bis er am Freitag seine schnellste Qualifikationsrunde nicht beenden konnte und nur Sechster wurde.
„Nein“, sagte Norris zuvor. Die Führungsposition mit sieben Zählern Vorsprung werde nichts daran ändern, wie er jetzt fährt. „Ich werde nicht an die Weltmeisterschaft denken, bis mindestens die halbe Saison vorbei ist“, sagte der Wahl-Monegasse bei einer Pressekonferenz, bei der er auch meinte: „Wir haben einen schnellen Red Bull gesehen, sie sind sicher nicht weit weg.“
Das sollte sich bewahrheiten. Trotz anfänglicher Probleme mit einem hohen Reifenverschleiß raste Verstappen auf Quali-Platz zwei und setzte Norris trotz eines (noch) schwächeren Autos unter Druck. Der 27-jährige Niederländer scheint fahrerisch im Vorteil, weiß aber um die Makel seines Autos. „Wir haben noch viel Arbeit vor uns, damit wir um Siege kämpfen können“, sagte Verstappen bereits in Melbourne: „Als die Reifen anfingen zu überhitzen, hatten wir keine Chance mehr. McLaren ist einfach davongefahren.“
Norris' Auto „sehr schwer zu fahren“
Das britische Traditionsteam um Norris und Teamkollege Oscar Piastri hat sich einen Vorteil erarbeitet und die Konkurrenz beim richtigen Umgang mit den Reifen überrascht. Trotzdem sagt Norris: „Das Auto ist sehr schwer zu fahren, auch wenn es gut ist. Das Auto muss etwas vorhersehbarer sein, etwas komfortabler zu fahren.“ Entsprechend sieht auch der Herausforderer vor dem zweiten von 24 Saisonläufen noch viel Arbeit auf sich zukommen.
Neben den technischen Voraussetzungen für den ersten WM-Titel geht es in den kommenden Monaten auch um die Psyche. Der mittlerweile viermalige Champion Verstappen machte in der Vergangenheit kaum Fehler und zeigte sich auf der Strecke kompromiss- oder sogar rücksichtslos, um als Erster die Zielflagge zu sehen. Norris muss erst noch beweisen, dass er auf dem höchsten Niveau und in den entscheidenden Situationen Verstappen etwas entgegenzusetzen hat. Im Vorjahr gelang ihm das zu selten.
„Ich hoffe, dass wir besser sein können und es leichter wird“, sagte Norris, der es auf insgesamt fünf Rennsiege bringt. Verstappen hat davon schon 63 und mehrfach unter Beweis gestellt, dass er der Fahrer ist, den es zu schlagen gilt.
McLaren-Störfeuer gegen Verstappen
Allerdings haben im Hintergrund die üblichen Spielchen längst begonnen, um für Unruhe zu sorgen. „Ich denke, er wird am Ende dieses Jahres gehen“, sagte McLaren-Chef Zak Brown in einem Interview des englischen „Telegraph“ über Verstappen. Der Boss von Norris spekulierte offen, dass es Verstappen zu Mercedes ziehen könnte, vielleicht aber auch zu Aston Martin. Allerdings besitzt Verstappen noch einen Vertrag bis Ende 2028 bei Red Bull.
Ob er diesen auf jeden Fall erfüllt? „Der Max möchte ein Auto haben, mit dem er gewinnen kann. Und wenn wir ihm das nicht hinstellen können - denn es gibt natürlich auch Performance-Klauseln - dann wird es schwierig werden“, sagte Red Bulls Motorsportberater Helmut Marko bei Sky. Was passieren muss, dass Verstappen bei Red Bull früher gehen kann, ist nicht bekannt.
Das Erfolgsteam der vergangenen Jahre rechnet nicht damit, dass Verstappen dauerhaft hinterherfährt. Red Bull will sich kontinuierlich verbessern und am liebsten wieder an der Spitze dominieren. „So schwarz, wie es der Zak gerne sehen würde, ist die Situation noch nicht“, sagte der Österreicher Marko.
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