Politikwechsel bei Ferrari: Mit Räikkönen auf Risiko
Maranello (dpa) - Dauer-Weltmeister Sebastian Vettel hat den ewigen Rivalen Ferrari zu einem gewagten Politikwechsel getrieben. Auf der verzweifelten Verfolgungsjagd rückt die Scuderia vom Prinzip des Platzhirschen ab.
Ferrari schickt 2014 neben Fernando Alonso in Kimi Räikkönen einen zweiten Ausnahmepiloten ins Rennen gegen den deutschen Formel-1-Titelhamster. „Willkommen zurück, Kimi“, schrieb das Team in einer dreizeiligen Mitteilung und beendete mit der Bestätigung des Zweijahresvertrags die wochenlangen Spekulationen um eine Rückkehr Räikkönens. „Ich begrüße meinen neuen Reisebegleiter“, sagte Alonso mit wohl eher gedämpfter Vorfreude.
Die Zeit treu ergebener Edelhelfer wie einst Rubens Barrichello oder dem nun ausgemusterten Felipe Massa ist bei Ferrari damit vorerst vorbei, das Traditionsteam geht voll auf Risiko. Das vermeintliche „Dreamteam“ Alonso/Räikkönen soll die Sehnsucht der Tifosi nach dem nächsten WM-Triumph endlich stillen - könnte aber auch zum Alptraum für den Traditionsrennstall werden. „Alonso wird das nicht gefallen“, unkte Mercedes-Teamaufsichtsratsboss Niki Lauda bereits, „aber Ferrari hat ein Problem“.
Seit der Ankunft des Asturiers in Maranello baute die Scuderia das Team ganz im Sinne und nach Willen Alonsos um. Doch an Vettel kam der Spanier nicht vorbei, auch in dieser Saison scheint Platz zwei das Maximum. Nun muss Alonso den Anspruch auf Alleinherrschaft aufgeben. Räikkönen freut sich schon auf das interne Kräftemessen. „Ich kann es nicht erwarten, mit Fernando zu arbeiten und dem Team den Erfolg zu verschaffen, den es verdient“, erklärte er pflichtgemäß.
Zum ersten Mal seit 1953 geht Ferrari mit zwei ehemaligen Weltmeistern in eine Saison. Damals steuerten Alberto Ascari und Giuseppe Farina die „Rote Göttin“. Zuletzt allerdings setzte das Team zumeist auf klare Hierarchien unter seinen Piloten. Für Michael Schumacher hatte der Brasilianer Barrichello ebenso Platz zu machen wie Massa nun für Alonso. Räikkönen wurde 2009 auch deshalb von Ferrari abgeschoben, weil der Schweiger aus Espoo zu wenig Führungsverantwortung übernahm.
Nun soll der 33-Jährige bis mindestens 2015 den Beschleuniger spielen - für das Team und für Alonso. Der „Iceman“ ist auf der Strecke ein anderes Kaliber als der zu brave und fehleranfällige Massa. Räikkönen soll Alonso noch öfter ans Limit treiben, vor allem in der Qualifikation. Und er soll konstanter Punkte sammeln, um Red Bull auch die Konstrukteurskrone entreißen zu können. „Er ist sehr entschlossen, seine künftige Aufgabe auf das Beste zu erfüllen“, versicherte Teamchef Stefano Domenicali.
Bei Red Bull wurde der Coup mit gemischten Gefühlen aufgenommen. „Räikkönen bei Ferrari ist schlecht für uns, weil Ferrari mehr Punkte als Team einfahren wird. Aber Räikkönen bei Ferrari ist gut für Vettel. Ein Räikkönen stellt sich nicht hinten an. Alonso und er werden sich in der Fahrerwertung gegenseitig Punkte wegnehmen“, sagte Red-Bull-Motorsportchef Helmut Marko bei „Spiegel online“.
Vermutlich nur widerwillig hat Alonso seine Zustimmung erteilt. Eine Flucht zu einem anderen Team kommt für ihn wohl auch mangels Alternativen nicht infrage. „Das ist ein Lebensstil. Mein Team, meine zweite Familie, meine Freunde“, schwärmte er über Ferrari. Nach mehreren internen Unstimmigkeiten und einer öffentlichen Rüge von Ferrari-Präsident Luca di Montezemolo demonstrierten alle Partien jüngst beim emotionalen Heimrennen in Monza wieder Einigkeit.
Da zeichnete sich der Räikkönen-Coup bereits deutlich ab. Lange hatte sich di Montezemolo gegen Domenicalis Plan gesträubt, Räikkönen zurückzuholen. Am Ende aber gab auch der Graf nach und opferte Massa.
Der Paulista muss sich nun nach acht Jahren ein neues Cockpit suchen. „Die WM bleibt mein größtes Ziel“, beteuerte der Routinier. Viel Platz aber ist nicht. Lotus tendiert wohl eher zum Rheinländer Nico Hülkenberg als Räikkönen-Nachfolger. So könnte sich für Massa bei Sauber der Kreis schließen. Beim Schweizer Rennstall begann 2002 seine Formel-1-Karriere, nun wird er dort als Kandidat für 2014 gehandelt. „Viel Glück für die nächsten Jahre! Du wirst ein starker Gegner in jedem Team sein“, rief Alonso seinem Adjutanten am Mittwoch via Twitter zu.