Vor 20 Jahren: Schumachers erstes WM-Wunder

Berlin (dpa) - Michael Schumacher stand hilflos am Zaun der Formel-1-Rennstrecke in Adelaide. Der 25-Jährige wartete auf seinen ärgsten Rivalen. Der Williams mit Damon Hill kam aber nicht mehr.

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Ein Ordner flüsterte Schumacher etwas ins Ohr. Nur glauben konnte er es auch in dem Moment noch nicht wirklich: Dass Michael Schumacher an diesem 13. November 1994 als erster Deutscher den WM-Titel in der Formel 1 geholt hat.

„Es war schrecklich, da draußen warten zu müssen“, erinnerte sich Schumacher später: „Aber es war unbeschreiblich, als es dann endlich feststand.“ Es war der Startschuss für tagelange Feierlichkeiten. Es war der Beginn einer bis heute einzigartigen Ära. Und es war der Anfang des ganz normalen „Schumi-Wahnsinns“ in Deutschland. 1995 folgte im Benetton unter Teamchef Flavio Briatore und Strategie-Genie Ross Brawn der zweite Titel, dann der Wechsel zu Ferrari.

1997 kostete Schumacher der folgenreiche Rammstoß im Finale von Jerez gegen Jacques Villeneuve noch den ersten Titel mit dem italienischen Traditionsteam. 2000, 2001, 2002, 2003 und 2004 war Schumacher dann nicht mehr zu stoppen.

Kaum ein anderer polarisierte aber auch wie Schumacher. Ergriffen widmete er in Adelaide seinen Titel 1994 dem rund ein halbes Jahr zuvor in Imola ebenso wie Roland Ratzenberger tödlich verunglückten Ayrton Senna. Auf der Strecke in Australien hatte sich Schumacher zuvor indes kompromisslos wie immer gezeigt. Wegen Missachtung der Schwarzen Flagge in Silverstone war er während der Saison sogar für zwei Rennen gesperrt worden. Zudem waren ihm die Punkte für den Großbritannien-Grand-Prix und auch das Rennen in Belgien wegen eines nicht regelkonformen Unterbodens gestrichen worden.

Dennoch trat der achtfache Saisonsieger Schumacher mit einem Punkt Vorsprung auf Hill im 16. und letzten Saisonrennen an. In der 36. Runde kam Schumacher - vor Hill liegend - von der Strecke ab, touchierte mit seinem Benetton die Streckenmauer. Er kehrte aber zurück auf den Asphalt, Hill hatte die Situation erkannt. Er versuchte, sich direkt in der nächsten Kurve innen vorbeizuschieben. Die Wagen berührten sich, Schumachers Auto hob ab, und landete in den Reifenstapeln. Hill konnte weiterfahren - aber auch nicht mehr lange.

Die WM war entschieden. In Hills Heimat tobte die Presse. „Betrug - Schu, der Bumser, raubt Damon den Ruhm und 1,6 Millionen Pfund. Von einem Sonntagsfahrer hätte man erwarten können, dass er einem quer über die Fahrbahn vors eigene Auto zieht, nicht aber vom Weltmeister“, schrieb der britische „Daily Mirror“. Auch in Italien, das Schumacher einige Jahre später hymnisch verehren sollte, ging man mit dem Deutschen hart ins Gericht. „Schumacher, der Rausschmeißer, wird Champion der Autoskooter“, meinte der „Corriere della Sera“.

Nur Hill gab sich direkt nach der großen Enttäuschung fair, objektiv und sportlich. „Ich fürchte, das ist Rennfahren“, meinte der Brite - keine Vorwürfe, keine Anfeindungen. „Am Montagmorgen kam Damon Hill zu mir an den Frühstückstisch und hat mit gratuliert - das ist eigentlich der schönste Moment für mich gewesen“, sagte Schumacher damals im ZDF-„Sportstudio“. Sieben WM-Titel, 91 Siege, 68 Pole Positionen - alles Rekorde, die Schumacher in seiner Karriere von 1991 bis Ende 2006 aufgestellt hat. Ein Sieg oder gar der ersehnte achte Titel kam in seinen drei Comeback-Jahren am Steuer von Mercedes nicht mehr hinzu. Aus dem Rennroboter wurde aber vor allem der Mensch hinter der Maschine.

Früher gewann Schumacher Rennen, Titel und Respekt. Bei seiner zweiten Formel-1-Karriere 2010 bis Ende 2012 gewann Schumacher vor allem Sympathien. Seit seinem Ski-Unfall am 29. Dezember vergangenen Jahres in Méribel, den Monaten im künstlichen Koma in der Klinik in Grenoble und der Rehabilitation seit Anfang September zu Hause bei Genf leiden seine Fans weltweit mit ihm. Über den genauen Zustand des mittlerweile 45-Jährigen machen Familie und Management mit Verweis auf die Privatsphäre keine Angaben.

Dabei schimmerte hinter dem öffentlichen, scheinbar gefühlskalten Schumacher auch vor 20 Jahren ab und zu schon mal der private, emotionale Schumacher durch. „Als er von Hill und vor allem von Senna sprach, erreichte er eine wirklich menschliche Dimension. Ein außergewöhnlicher Pilot, der jetzt ein außergewöhnlicher Weltmeister geworden ist, unter dem gleichen Stern, dem er seinen Erfolg widmet“, schrieb damals die französischen Sportzeitung „L'Equipe“.