Wahnsinniges Genie: Neue Motorrad-Ära durch Márquez?
Valencia (dpa) - Höflichkeit und Respekt vor anderen sind neben seinem ansteckenden Lachen die auffälligsten Merkmale von Marc Márquez - abseits der Piste. Steigt der 20-Jährige mit dem „Babyface“ aber auf seine 250 PS starke Honda, kennt er weder Freund noch Feind.
Dann zählt nur eines: der Sieg. Dabei geht er auch wegen seines jugendlichen Leichtsinns oft über die Grenzen hinaus - zum Leidwesen und Unmut der Konkurrenz. Doch der Erfolg gibt Márquez recht: Er kann sich am Sonntag zum jüngsten MotoGP-Weltmeister der Motorrad-Geschichte krönen.
Márquez ist ein Jahrhunderttalent wie einst sein Vorbild Valentino Rossi. Auf dem Motorrad ist er gnadenlos, hat vor nichts und niemandem Angst. Márquez überholt auch dort, wo es unmöglich scheint. Seine waghalsige Fahrweise, mit der er zahlreiche Kollisionen verschuldete, ist deshalb umstritten. „Er fährt ständig aggressiv mit extremem Risiko. Damit bringt er sich und seine Gegner in Gefahr“, meinte sein einzig verbliebener Titelkonkurrent Jorge Lorenzo.
In Sepang platzte Lorenzo wegen des Rambo-Stils seines Landsmannes der Kragen. Ihn brachte es auf die Palme, dass die Rennleitung den Neuling wegen seiner rücksichtslosen Manöver nicht härter bestrafte. Márquez selbst stürzte zwar mehrfach spektakulär, hatte aber meist mehr Glück als seine Gegner.
Rossi, neunmaliger Champion und „Mister MotoGP“, outete sich derweil als Márquez-Fan: „Er hat außergewöhnliche Fähigkeiten.“ Abgehoben ist Márquez trotz des Lobs nicht: „Es ist eine Ehre für mich, mit ihm und den anderen gemeinsam Rennen zu fahren. Für mich ist ein Kompliment von Valentino das Größte, denn er ist schon seit meiner Kindheit ein Held für mich.“
Márquez legt sich wie einst Rossi die Kontrahenten zurecht und kopierte zum Teil die berühmt-berüchtigten Manöver des Italieners. So in Jerez, als er in der nach seinem Landsmann Lorenzo benannten Kurve eben diesen kurz vor dem Ziel ausbremste und an der Grenze zur Unfairness von der Ideallinie brachte. Rossi hatte das 2005 mit dem damaligen spanischen Helden Sete Gibernau getan.
Doch auch Rossi wurde zum Márquez-Opfer: In Laguna Seca schlüpfte im berühmten „Corkscrew“ der Spanier im Staub neben der Piste am Italiener vorbei - eine Aktion, mit der Rossi 2008 den Australier Casey Stoner düpierte.
Während sich Rossi dem Ende seiner glanzvollen Karriere nähert, läutet Márquez mit seinem möglichen WM-Titel in der MotoGP nach dem Gewinn der 125 Kubizentimeter-Klasse (2010) und der Moto2 (2012) eine neue Ära ein - da sind sich die Experten sicher. Er bricht einen Rekord nach dem anderen. Er könnte der erste Rookie nach Kenny Roberts vor 35 Jahren sein, der gleich in seiner Premierensaison Champion in der Königsklasse wird. Márquez schaffte im Alter von 20 Jahren und 196 Tagen als jüngster Fahrer seinen 50. Podestplatz. Er fuhr bisher in 15 von 17 Saisonrennen auf das Podium und holte sechs Siege sowie acht Pole Positions, so viel wie kein anderer vor ihm.
„Er ist ein unheimlicher Typ, ein Fahrer, wie es sie nur ganz selten gibt“, meinte auch der Zahlinger Stefan Bradl, der sich 2011 in die Moto2 knapp im WM-Kampf gegen Márquez durchgesetzt hatte.