Oliver Kahn: „Ich würde Löw umarmen“
Die Metamorphose vom Titan zum lockeren TV-Analysten ist vollendet. WM-Experte Kahn ist vorbereitet.
Oliver Kahn, lässt sich folgender Kahn-Spruch auch auf Ihr Leben als TV-Experte anwenden: „Weiter, immer weiter“?
Oliver Kahn: Dieser Spruch lässt sich auf alles im Leben anwenden.
Wie ist es mit: „Eier, wir brauchen Eier“?
Kahn: Habe ich nach dem Klopp-Vorfall erst zu meinem ZDF-Kollegen Jochen Breyer gesagt. Es klang nur etwas anders.
Wie haben Sie es gesagt?
Kahn: Jochen, wenn du in der Champions League spielen willst, musst du auch mal den Gegenwind ertragen können.
Moderator Jochen Breyer wurde für seine Frage nach der BVB-Hinspielniederlage bei Real Madrid gescholten: „Die Sache ist durch, oder, Jürgen Klopp?“ War das respektlos?
Kahn: Fand ich nicht. War vielleicht ein bisschen flapsig, aber Klopp hätte unter normalen Voraussetzungen alle rhetorischen Mittel gehabt, ihm den Wind aus den Segeln zu nehmen: „Wenn Sie das meinen“ oder „Warten wir es doch erst mal ab“. Aber Jürgen ist an dem Tag eben voll drauf eingegangen, weil er vom Spiel noch aufgewühlt war.
Breyer hätten Sie sich früher auch zur Brust genommen.
Kahn: Tja, wahrscheinlich. Aber ich war als Spieler manchmal auch so . . . (Macht den Scheibenwischer.)
Wo werden Sie die bevorstehende WM verbringen?
Kahn: Vier Wochen lang an der Copacabana. Das ZDF teilt sich das Studio mit der ARD. Bedeutet für mich, dass das Schicksal meinen alten Kumpel Mehmet (Scholl, ARD-Experte, d. Red.) und mich — nachdem wir schon als Spieler Zimmergenossen waren — wieder zusammenführt.
Froh, dass Sie nicht aus dem deutschen Lager im Niemandsland von Campo de Bahia senden müssen?
Kahn: Ich bin schon froh, dass ich nicht auf einer Plattform in der Ostsee stehe, sondern am warmen Strand von Rio.
Sie haben sich dort tödlich gelangweilt.
Kahn: Nein, aber ich habe schon aufregendere Locations erlebt.
Wetter, Unruhen, das Dengue-Fieber — wovor fürchten Sie sich am meisten auf Ihrer Reise nach Brasilien?
Kahn: Vor gar nichts. Die Brasilianer lieben mich ja, seit ich 2002 dazu beigetragen habe, dass sie Weltmeister geworden sind. Ich erwarte, wie ein Staatsmann empfangen zu werden. (Lacht.)
Wer ist besser organisiert: der DFB oder das ZDF?
Kahn: Der DFB ist schon extrem gut organisiert. Mir ist es nach der Karriere öfter passiert, dass ich in Hotels aufwachte und mich fragte, wo der weiße Zettel ist.
Der Zettel?
Kahn: Den findet jeder Nationalspieler beim Aufwachen unter seiner Zimmertür. Darauf steht der gesamte Tagesablauf: 9 Uhr Frühstück, 10 Uhr Training, 13 Uhr Autogrammstunde, 15 Uhr zweites Training, 18 Uhr Abendessen, 19 Uhr Massage, 23 Uhr Bettruhe. Das ist regelrecht irritierend, wenn es den Zettel nach 15 Jahren plötzlich nicht mehr gibt.
Michael Ballack sagt, seine schönste Erinnerung im DFB-Team sei die Party bei der WM 2002 gewesen.
Kahn: Welche Party?
Auf Jeju-Island nach dem gewonnenen Halbfinale gegen Südkorea.
Kahn: Da war ich nicht dabei, da saß ich auf dem Zimmer und habe mich aufs Finale konzentriert.
Wie sahen die Kollegen am nächsten Morgen aus?
Kahn: Keine Ahnung, ich wusste bis jetzt nichts von dieser Party. So viele Jahre später kommt es heraus: Ich war also gar nicht schuld am verlorenen WM-Finale. Schuld waren die, die Party gemacht haben. (Lacht.)
Wer ist Ihr Lieblingsgast im Studio?
Kahn: Jürgen Klopp. Er sagt Dinge, die man so nicht erwartet. Und er ist oft derartig aufgeladen, dass ich mich frage, wer emotionaler ist: er oder ich als Spieler.
Die deutsche Elf verliert im Finale unglücklich. Jogi Löw kommt ins Studio. Wie sollte man ihm entgegentreten?
Kahn: Mit Empathie und Respekt. Der Journalist muss sich in die Situation versetzen, dass Löw in diesem Moment das Größte verloren hat, was es im Fußball gibt. Das ist ein schmaler Grat. Schließlich muss er auch hinterfragen, woran es gelegen hat. Die Frage nach einem möglichen Rücktritt sollte man sich besser verkneifen.
Würden Sie Löw in den Arm nehmen?
Kahn: Auch wenn Sie es mir nicht zutrauen würden, warum nicht?
Sie sind so entspannt.
Kahn: Leute haben sich schon beschwert, ich hätte mich so verändert und wäre seit dem Karriereende zahm geworden. Da frage ich mich, was sie erwarten? Dass ich mit gestrecktem Bein über den Moderationstisch fliege oder Katrin Müller-Hohenstein in den Hals beiße?