Paul Gascoigne - Englands trauriger Fußball-Clown
London (dpa) - Englands Fußball-Fans waren schockiert, als sie ihren einstigen Liebling Paul Gascoigne so sehen mussten. Zitternd saß der 45-Jährige auf einer Bühne, lallte mit brüchiger Stimme Schwänke aus seinem Leben und schluchzte dann unvermittelt los.
Freunde um den TV-Moderator Piers Morgan haben inzwischen zusammengelegt und ihn in eine Entzugsklinik in Arizona bringen lassen. Viele fürchten nun, dass Gascoigne ein ähnliches Schicksal erleiden könnte wie Jahrhundertfußballer George Best, der sich nach einem viel zu schnellen Leben zu Tode getrunken hatte.
Morgan sprach von Gascoignes „Last Chance Saloon“. Eine schockierende Metapher für Englands 57-fachen Nationalspieler, der den Kampf gegen die eigenen Dämonen zu verlieren droht. Die „Sun“ druckte ein Foto von Gascoigne, wie er nach seiner Ankunft in Phoenix an einer Flughafenbar kauert - mit einem großen Glas Bier.
Ansonsten ist Gascoigne in den USA nun weitestgehend beschützt - vor „Freunden“, die einen „letzten Drink“ mit ihm haben wollen. Und vor Englands Boulevard-Meute, die von Nachbarn erfahren haben will, dass er ein „betrunkener Zombie“ sei und am Sonntag auf seinem Balkon in einen Blumentopf gepinkelt habe. Dabei galt „Gazza“ zuvor laut „Guardian“ 18 Monate lang als trocken. Er habe sein Leben in Bournemouth, einer Stadt an der Südküste, in seiner Wohnung am Meer halbwegs in den Griff bekommen.
Und dann verlor er vor einigen Wochen nach dem Tod eines Freundes aus der Entzugsklinik doch wieder sein Gleichgewicht. Den öffentlichen Auftritt in Northampton habe er trotz des Rückfalls unbedingt gewollt, wie sein Agent Terry Baker sagte: „Ich habe die Organisation angerufen und gesagt, dass es wohl das Beste wäre, ihn nicht auftreten zu lassen, aber er bestand darauf, dass er einige neue Witze auf Lager habe und in Tip-Top-Form sein würde.“ Am Ende lachten die Zuhörer über die tragische Clown-Figur.
Alte Wegbegleiter und die heutige Spielergeneration dagegen haben Angst um einen der talentiertesten Kicker Englands seit dem WM-Titel 1966. „Was auch immer irgendwer über Paul Gascoigne sagt, er war mein Held und wird es immer bleiben“, sagte Chelsea-Star Frank Lampard. Der einstige Nationalmannschafts- und Tottenham-Hotspur-Kollege Gary Lineker twitterte: „Ich hoffe, dass er irgendwie seinen Frieden findet, aber ich habe Angst, dass diese Hoffnungen vergebens sein könnten.“
Lineker war Zeuge eines der denkwürdigsten Momente englischer Sportgeschichte - als der bullige Gascoigne im WM-Halbfinale 1990 gegen Deutschland in Tränen ausbrach und ins Trikot heulte, weil seine Gelbe Karte für ein mögliches Finale die Sperre bedeutete. England weinte mit ihm. Lineker guckt auf Fotos hilfesuchend zur Trainerbank, als wolle er sagen, nun ist er durchgeknallt. „Es machte ihn einfach verrückt“, erinnerte sich Lineker später.
Einen Absturz nach dem nächsten hat Gascoigne erlebt. Nicht erst seit seinem Karriereende 2004 als Spielertrainer des Viertligisten Boston United. Dokumentiert sind für den Mann, der einst seine heutige Ex-Frau Sheryl krankenhausreif schlug mehrere Drogenentzugskuren, Behandlungen gegen Alkoholsucht und Depression. 2008 wurde er zwangsweise in die Psychiatrie eingewiesen. In einem Interview sagte er einmal über sich selbst: „Manche Leute haben Probleme, ich habe sie alle.“
Und doch lieben die Briten ihren Gascoigne, um den 1990 eine „Gazzamania“ herrschte. Der „Guardian“ schrieb, er sei immer noch „eine der meistgeliebten öffentlichen Figuren“ der Insel.