Altstars schwärmen von Degenkolb - „Bin weiter hungrig“
Roubaix (dpa) - Kaum hatte sich John Degenkolb nach seinem historischen Triumph von Roubaix und einer kleinen Teamfeier in den Kurzurlaub verabschiedet, warteten schon ganz neue Aufgaben auf den deutschen Klassiker-Star: Ein Ehrenplatz für den Siegerpokal muss her.
„Der Pflasterstein ist doch sehr schwer. Vielleicht muss ich erst noch ein Regal bauen“, meinte Degenkolb, der beim gefürchteten Frühjahrsklassiker Paris-Roubaix für den ersten deutschen Sieg seit 119 Jahren gesorgt hatte.
Zeit für den Regalbau hätte der 26 Jahre alte Radprofi. Bis zum 1. Mai beim Rennen in seiner Wahl-Heimat Frankfurt ist eine Pause angesagt. Bis dahin kann er auch die ganzen Gratulationen nach seinem Erfolg abarbeiten. Die früheren deutschen Ausnahmefahrer von Olaf Ludwig bis Didi Thurau waren hellauf begeistert. „Man muss in die Superlativen gehen. Das war sensationell“, sagte Ludwig der Deutschen Presse-Agentur und gab Degenkolb einen Ratschlag mit auf den Weg: „Diese Saison ist nicht mehr zu toppen. Was jetzt noch kommt, ist Zugabe. Er sollte es genießen. Es ist noch viel Zeit für weitere Heldentaten.“
Ludwig war in seiner Karriere nicht in diesen Genuss gekommen, 1992 wurde er Zweiter. Auch Thurau fuhr 1980 aufs Podium, zum Sieg reichte es aber nicht. Der frühere Radstar prophezeit Degenkolb eine große Zukunft. „Er ist ein Siegfahrer, kann die Rennen lesen und hat einen guten Instinkt. Da wird noch einiges kommen“, sagte Thurau der dpa.
Mit gerade einmal 26 Jahren gewann Degenkolb nur drei Wochen nach seinem Erfolg bei Mailand-Sanremo ein weiteres Rennen der fünf Radsport-Monumente. „Er hat alles, um solche Rennen zu gewinnen, ähnlich wie früher De Vlaeminck“, sagte Rolf Wolfshohl, der einst als Erster auf die alte Betonpiste im Velodrome von Roubaix eingebogen war, dann aber eingeholt wurde. „Ich hoffe, dass er auf dem Boden bleibt. Bescheidenheit ist die Grundlage zum Erfolg.“
Die Gefahr, dass Degenkolb nun abheben könnte, ist aber wohl gering. Dafür hat er viel zu hart für diese Siege gearbeitet. „Ich bin weiter hungrig“, sagte der gebürtige Thüringer unmittelbar nach dem Rennen. Die Ziele gehen Degenkolb vorerst nicht aus. Insbesondere bei der Tour de France hat er noch eine Rechnung offen, nachdem er im vergangenen Jahr mehrmals an einem Premieren-Sieg vorbeigeschrammt war.
Die Mannschaft, um solche Siege einzufahren, hat Degenkolb jedenfalls. Das deutsche Team Giant-Alpecin gehört inzwischen zu den Schwergewichten im Radsport. „Dass ich damals zu diesem Team gewechselt bin, war die beste Entscheidung, die ich je gemacht habe“, sagte Degenkolb, der nach dem Ende des HTC-Teams zum damaligen Zweitligisten Skil-Shimano gegangen war. Aus Skil-Shimano ging später Giant-Alpecin hevor.
In Roubaix holte Degenkolb seine Kollegen mit aufs Podium. Das Gruppenbild sei mehr als angebracht gewesen. Mit einer solchen Unterstützung wäre vielleicht auch Steffen Wesemann 2002 nicht Zweiter, sondern Erster geworden. „Ich hatte nie eine komplette Mannschaft hinter mir, sogar noch Konkurrenz im eigenen Team. Für Zabel und mich waren je drei Mann abgestellt“, betonte der einstige Klassikerspezialist.
Wesemann und Erik Zabel waren einst zwei Protagonisten der später so desaströs zu Ende gegangen Telekom-Ära gewesen. Ein gutes Jahrzehnt später scheint die Szene hierzulande das Tal durchschritten zu haben. „Wir haben zwei Monumente gewonnen und einen deutschen Sponsor auf der Brust. Das macht mich stolz. Es ist ein großer Schritt für den deutschen Radsport“, sagte Degenkolb, der sich schon auf ein Wiedersehen in Roubaix freut.
Dann wird er auch dem Gang in die ehrwürdigen Umkleidekabinen entgegenfiebern. „In den geschichtsträchtigen Duschen ein Messingschild mit meinem Namen zu sehen, macht mich stolz“, sagte Degenkolb. Es wird der zweite deutsche Name sein neben dem Münchner Josef Fischer aus dem Jahr 1896.