Andy Schleck und der weite Weg zurück
Lüttich (dpa) - Auf seinem Internet-Sprachrohr Twitter herrscht bereits seit mehr als zwei Monaten Funkstille. Das geringe Mitteilungsbedürfnis des Luxemburger Radstars Andy Schleck ist irgendwie passend zur aktuell wenig erfreulichen Situation.
Denn gut zehn Wochen vor dem Start der 100. Tour de France ist der Sieger von 2010 das große Sorgenkind im RadioShack-Rennstall. Seit seinem Steißbeinbruch im vorigen Juni fährt Schleck seiner Form hinterher.
Am Sonntag unterzieht sich der 27-Jährige einem weiteren Härtetest beim Frühjahrsklassiker Lüttich-Bastogne-Lüttich. Beim schweißtreibenden Ardennen-Ritt mit den vielen giftigen Anstiegen hatte Schleck vor vier Jahren nach einer imposanten Solofahrt auf den letzten 20 Kilometern seinen ersten großen Sieg eingefahren. Eine derartige Heldentat ist an diesem Wochenende kaum zu erwarten, auch ein dritter Platz wie 2011 trauen ihm nur die wenigsten Experten zu.
Es läuft nicht beim sensiblen Leichtgewicht. Am Mittwoch hatte er beim Flèche Wallonne als 86. mit mehr als vier Minuten Rückstand die „Mur von Huy“ gemeistert. „Am Ende bin ich explodiert, aber das gibt mir Selbstvertrauen“, sagte Schleck und wertet das Rennen als Schritt in die richtige Richtung. Verglichen mit seinen vorangegangenen Rennen liegt er dabei sogar richtig. In den Ergebnislisten war der Mondorfer meist unter „DNF“, also „Did not finish“ zu finden. Bei der Tour Down Under, der Baskenland- und der Mittelmeer-Rundfahrt sowie bei Tirreno-Adriatico war Schleck ebenso ausgestiegen wie am vergangenen Wochenende beim Amstel Gold Race, als ein Sturz 75 Kilometer vor dem Ziel zum vorzeitigen Aus führte.
Von seinem Traum, einmal ganz oben das Podest auf den Champs Élysées zu besteigen - 2010 wurde er ja erst nachträglich nach dem positiven Dopingtest von Alberto Contador zum Sieger erklärt - hat er sich in diesem Jahr irgendwie schon verabschiedet. „Ich weiß nicht, wann ich wieder in Top-Form bin. Vielleicht dieses, vielleicht nächstes Jahr. Ich habe realisiert, dass es unmöglich ist, nach so einer Verletzung in sechs Monaten das höchste Level wieder zu erreichen“, sagte Schleck der Luxemburger Zeitung „Le Quotidien“.
Schlagzeilen lieferte er aber trotzdem noch, wenn auch nicht sportlich. Sturzbetrunken soll Schleck im März in einem Münchner Flughafen-Hotel gesichtet worden sein. Das behauptete jedenfalls der französische Politiker Pierre-Yves Le Borgn. „Ich erkenne einen Radsport-Champion, der in den vergangenen Jahren zweimal Zweiter der Tour de France war. Deprimierend“, schrieb der Sozialist auf seiner Facebook-Seite. Es sei Andy Schleck gewesen. „Er konnte kaum noch aufrecht stehen. Ich habe für ihn im Lift den Knopf gedrückt. Ich hatte den Eindruck, einem jungen Mann begegnet zu sein, der die Kontrolle verloren hat.“ Schleck wies die Behauptungen als „lächerlich“ zurück, doch Zweifel blieben.
So verwundert es kaum, dass der millionenschwere Teambesitzer Flavio Becca mit seiner Geduld allmählich am Ende ist. Den Toursieg wollte er einst mit seinem ehrgeizigen Projekt nach Luxemburg holen. Inzwischen halten sich die Gerüchte, dass zum Saisonende der Rennstall wieder von der Bildfläche verschwindet, zumal offenbar auch Geldgeber RadioShack den Rückzug planen soll.
„Es herrscht großer Druck für den Rest der Saison, aber das bin ich gewöhnt“, behauptet Schleck. In der Vergangenheit hatte er dabei aber noch seinen großen Bruder Frank an der Seite. Bei der Frankreich-Schleife wird er diesmal ohne ihn auskommen müssen, denn der Tour-Dritte von 2011 ist noch bis zum 15. Juli wegen seines positiven Dopingtests aus dem Vorjahr gesperrt. Keine guten Voraussetzungen also.