Schumacher-Prozess: Holczer belastet Teamarzt Schmidt
Stuttgart (dpa) - Ein Auftritt hat nicht gereicht. Ex-Teamchef Hans-Michael Holczer muss im Betrugsprozess gegen den Radprofi Stefan Schumacher vor der 16. Großen Strafkammer des Landgerichts Stuttgart ein zweites Mal aussagen.
Am kommenden Dienstag wird sich der 59 Jahre alte Lehrer den Fragen der Schumacher-Verteidigung und des Staatsanwaltes stellen. Die erste Holczer-Anhörung am zweiten Prozesstag dauerte am Donnerstag mehrere Stunden. Dabei zeigte sich der Ex-Teamchef bestens vorbereitet und angriffslustig. Er blieb bei seiner Marschroute, nicht von den Dopingpraktiken in seiner früheren Gerolsteiner-Mannschaft gewusst zu haben. „Ich war 2008 beseelt davon und überzeugt davon, dass wir das Dopingthema wegbekommen“, sagte der rhetorisch geschulte Holczer. Vom Blutdopingmittel CERA, mit dem seine Fahrer Schumacher und Bernhard Kohl 2008 aufgeflogen waren, hätte er im Juli 2008 „zum ersten Mal“ gehört.
Gleichzeitig belastete der Geschichts- und Mathematiklehrer seinen früheren Teamarzt Mark Schmidt schwer. „Bernhard Kohl hat mir geradezu Unglaubliches erzählt über Mark Schmidt“, sagte Holczer über angebliche Beschuldigungen seines ehemaligen Fahrers an die Adresse Schmidts. „Die deutlichen Worte haben mich gefreut“, sagte Schumacher-Anwalt Dieter Rössner der Nachrichtenagentur dpa.
Der Mediziner sollte am 30. April in Stuttgart aussagen, machte aber sein Zeugnisverweigerungsrecht geltend. Schmidt habe laut Holczer dem geständigen Doper und längst überführten Ex-Profi Kohl eine Zentrifuge und ein Hotelzimmer für Dopingpraktiken während der Tour de France 2008 zur Verfügung gestellt. Auch Kohl werde nicht in Stuttgart als Zeuge erscheinen, teilte Richter Martin Friedrich mit. Der Österreicher sei bereit, in seinem Heimatland auszusagen.
Holczer bezeichnete Schumacher als Lügner. „Das ist vollkommen gelogen“, sagte der Ex-Teamchef zu Schumachers Behauptungen, sein Ex-Chef habe ihn mehrmals indirekt auf Doping angesprochen. „Blank erfunden“, nannte Holczer zudem Details der Schumacher-Aussagen zum Thema Mitwisserschaft der illegalen Praktiken. Der ehemalige Teamchef verneinte, wie von Schumacher behauptet, falsch ausgestellte Kortison-Atteste durch die Ärzte gebilligt zu haben.
Quasi aus erzieherischen Gründen habe Holczer im Team „Dinge immer offen angesprochen, um eine Verunsicherung zu erzeugen“. Er habe niemals über die Dosierung des Dopingmittels Synacthen - wie von Schumacher behauptet - mit dem zweifachen Tour-Etappensieger und Träger des Gelben Trikots gesprochen. „Ich hatte auch keinen Verdacht“, meinte Holczer. Schumacher hatte ausgesagt, mit seinem damaligen sportlichen Leiter Christian Henn ganz dezidiert über die Dosierung dieses verbotenen Mittels gesprochen zu haben. Ab 2008 wurden laut Holczer nur noch zwei medizinische Geräte mitgeführt: „Fieberthermometer oder Blutdruckmesser.“
Holczer gab aber zu, dass im Gerolsteiner-Team eine Maschine zur Messung des Hämatokritwertes des Blutes der Fahrer angeschafft worden sei. Zudem habe es Infusionen von Kochsalz gegeben, alles allerdings aus therapeutischen Zwecken und nicht, um Doping Vorschub zu leisten oder zu verschleiern. Bei Vertragsschluss mit dem Sponsor Gerolsteiner sei laut Holczer „von Anfang an ganz klar“ gewesen, „hier muss was entstehen, das Doping in keinem Fall akzeptiert“. Bei zwei positiven Doping-Analysen in vier Jahren hätte der Sponsor den Vertrag kündigen können.
Zuvor hatte es in der um vier Stunden nach hinten verlegten Verhandlung einen heftigen Schlagabtausch mit der Schumacher-Verteidigung und der Staatsanwaltschaft gegeben. Die Verteidiger warfen dem Staatsanwalt Peter Holzwarth vor, vorliegende Vernehmungsprotokolle des ehemaligen Gerolsteiner-Teamarztes Giuliano Peruzzi nicht berücksichtigt zu haben.
Der langjährige Team-Mediziner aus Italien soll nach Aussagen Kohls Dopingspritzen aus dem Kühlschrank an den ehemaligen Gerolsteiner-Profi Davide Rebellin und Schumacher weitergegeben zu haben. Schumacher, danach befragt, verweigerte die Aussage „aus persönlichen Gründen“. Später sagte er: „Vielleicht hat Peruzzi in seinem Leben auch nicht alles richtig gemacht.“
Schumacher war trotz seiner erlittenen Renn-Verletzungen vom vergangenen Sonntag am Donnerstag erschienen. Ihm wird vorgeworfen, seinen ehemaligen Teamchef um drei Monatsgehälter in Höhe von 151 463,50 Euro betrogen zu haben. Schumacher habe Doping bei der Tour de France 2008 trotz Nachfrage geleugnet und das Geld daher unrechtmäßig erhalten. Im Nachhinein war er wie bei den Olympischen Spielen in Peking positiv auf das Blutdoping-Präparat CERA getestet worden. Bis August 2010 hatte ihn der Internationale Sportgerichtshof CAS deswegen gesperrt.