Ex-UCI-Chef Verbruggen wehrt sich gegen Armstrong
Amsterdam (dpa) - Hein Verbruggen wehrt sich gegen die Armstrong-Vorwürfe der Komplizenschaft. Der 72 Jahre alte ehemalige UCI-Chef, bis September die graue Eminenz im Radsport, zielt dabei auf die Integrität des einstigen Seriensiegers aus Texas, der jahrelang log.
„Seit wann glaubt man Lance Armstrong? Seit er bei Oprah Winfrey sagte, dass er mit der UCI niemals etwas 'geregelt' habe? Oder seitdem er (gegen Bezahlung) Filme macht und Interviews gibt und dann mit saftigen Geschichten kommen muss?“ Eine SMS Verbruggens mit diesem Inhalt landete beim niederländischen TV-Sender NOS.
Der Niederländer war erstes Opfer des sich anbahnenden Rundumschlags Armstrongs. Dagegen scheint der tief gefallene Seriensieger seinen früheren medizinischen Betreuer Ferrari, vom Italienischen Olympischen Komitee CONI lebenslang gesperrt, verschonen zu wollen. „Ich behüte ihn“, hatte Armstrong „Daily Mail“ erklärt. Der Texaner arbeitete seit 1995 mit dem „Dottore EPO“ genannten Mediziner zusammen. Aber erst sechs Jahre später musste er die Kooperation mit dem ominösen Italiener, der Armstrong Dopingmittel beschaffte, öffentlich eingestehen.
Verbruggen-Nachfolger Pat McQuaid könnte in Zusammenhang mit Geldzuwendungen an die UCI durch Armstrong als nächster auf der Abschussliste des Texaners stehen. Zudem dürften bei der Verhandlung vom 16. bis 20. Dezember in London gegen den langjährigen Armstrong-Mentor und Teamchef Johan Bruyneel vor dem Schiedsgericht der US-Anti-Doping-Agentur USADA weitere brisante Doping-Wahrheiten auf den Tisch kommen.
Verbruggen droht jetzt sogar der Entzug seiner Ehrenmitgliedschaft im Internationalen Olympischen Komitee. „Wir müssen mit ihm reden. Wenn die Vorwürfe zutreffen, muss er seine Mitgliedschaft niederlegen“, sagte das norwegische IOC-Mitglied Gerhard Heiberg dem norwegischen Fernsehsender TV2. Er bekräftigte seine Aussage auf Nachfrage der Nachrichtenagentur dpa am Dienstag: „Wenn wir im IOC null Toleranz gegen Doping predigen, müssen wir das auch leben“.
Der wegen Dopings lebenslang gesperrte Armstrong hatte der „Daily Mail“ erklärt, Verbruggen habe bei der Tour de France 1999 mitgeholfen, positive Tests auf Cortison zu vertuschen. Die UCI hatte die Nichtsanktionierung damals damit begründet, dass Armstrong ein Rezept für eine Wundsalbe wegen Sitzbeschwerden eingereicht habe. Verbruggen nannte den Ursprung der Anschuldigungen ein „Kortison-Fällchen“.
In dem Zeitungs-Interview hatte Armstrong erklärt: „Hein sagte nur: 'Das ist ein echtes Problem für mich, das ist der K.o.-Schlag für unseren Sport - ein Jahr nach Festina. So müssen wir uns etwas einfallen lassen.' Also haben wir das Rezept zurückdatiert“. Vor 14 Jahren hatte Armstrong als geheilter Krebspatient ein Jahr nach dem Festina-Skandal seinen ersten von insgesamt sieben Tour-Erfolgen gefeiert.
Die neuesten Aussagen Armstrongs scheinen nur der Anfang von weiteren pikanten Details zu den früheren Machenschaften zu sein. Insbesondere die ominösen Geldspenden des früheren Tour-Dominators an die UCI in Höhe von insgesamt 125 000 Dollar aus den Jahren 2002 und 2005 könnten noch unangenehme Folgen für die frühere UCI-Spitze haben. Armstrongs Ex-Teamkollege Floyd Landis hatte einst behauptet, der Superstar habe durch ein „finanzielles Abkommen“ mit Verbruggen einen positiven Epo-Test bei der Tour de Suisse verschwinden lassen.
Die UCI unter der neuen Führung des Briten Brian Cookson begrüßte die Bereitschaft des 42-Jährigen zur Mithilfe bei der Doping-Aufklärung der Vergangenheit. Die Hoffnung des besessenen Wettkämpfers Armstrong auf eine signifikante Reduzierung seiner lebenslangen Sperre dürfte sich aber zerschlagen. Aussagen von USADA und Welt-Anti-Doping-Agentur WADA sind so zu werten.
Das stärkere Motiv neben Rache an früheren Weggefährten, die ihn fallen ließen, dürfte sein: Armstrong will verlorenes Ansehen wenigstens ein wenig zurückerlangen. Allerdings sollte er seine Beichte nicht stückchenweise an Zeitungen verkaufen - umfassende Aussagen vor einer UCI-Kommission machen den besseren Eindruck.