Nibalis Astana-Clan unter Beobachtung

Utrecht (dpa) - Vincenzo Nibali wirkte unsicher. Sein Lächeln war ein wenig gequält, als er mit seinem höchst umstrittenen Astana-Team auf einem Boot den Kanal zur Präsentation der 102. Tour de France in Utrecht entlang schipperte.

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Doch seine Sorge war unbegründet. Die Niederländer erwiesen sich als freundliche Gastgeber und bedachten auch den Vorjahressieger mit Applaus. Und trotzdem fährt der ständige Verdacht bei Nibali und seinem Clan mit.

Ginge es nach dem Willen des Radsport-Weltverbandes, wäre der Sizilianer gar nicht dabei. Zumindest nicht im türkis-blauen Trikot. Im Frühjahr hatte die UCI nach zahlreichen Skandalen und weiteren Indizien für ein Dopingsystem den Lizenzentzug für die kasachische Mannschaft um den zwielichtigen Teamchef Alexander Winokurow gefordert. Doch die Lizenzkommission war anderer Meinung und ordnete nur weitere Auflagen gegen den Rennstall an.

Eine für viele Radprofis unverständliche Entscheidung. „Was muss denn noch passieren, um das Team auszuschließen?“, fragte der deutsche Sprinter André Greipel, und sein Landsmann Tony Martin fügte hinzu: „Bei der Tour wird hinter jedem Astana-Sieg wieder ein Fragezeichen stehen.“ BDR-Präsident Rudolf Scharping wurde noch deutlicher: „Da fällt mir nur das F-Wort aus dem Englischen ein.“

Nibali kann die ganze Aufregung nicht verstehen. Er habe Wert darauf gelegt, sich mit einer Gruppe zu umgeben, die über jeden Verdacht erhaben ist. „Ich hatte mit den positiv getesteten Iglinski-Brüdern nichts zu tun und schon gar nicht mit den Fahrern aus dem Entwicklungs-Team“, sagt der Italiener, den die Ungewissheit über die Zukunft des Teams „psychologisch“ Schwierigkeiten bereitet habe. „Indirekt hat es meinem Ruf geschadet. Mein Tour-Sieg ist das Ergebnis von 15 Jahren harter Arbeit.“

Fünf Dopingfälle aus den beiden Astana-Mannschaften zum Ende der Saison 2014 hatten den Radsport - mal wieder - aufgeschreckt. Dazu legte die italienische Polizei Indizien über die illegale Zusammenarbeit zwischen Winokurow und dem lebenslang gesperrten Mediziner Michele Ferrari vor.

Zu wenig für ein Fahrverbot. Die Astana-Fahrer sind im Peloton weiter unterwegs, verdächtig schnell sogar. Beim Giro d'Italia kletterte Fabio Aru auf zwei Bergetappen derart flink die Pässe hinauf, dass die Kollegen nur mit dem Kopf schüttelten. Vielleicht hat Martin auch Aru im Sinn, wenn er von „fragwürdigen Typen“ spricht. „Was die zum Teil beim Giro gezeigt haben, war ganz große Kunst - wie auch immer“, ergänzte Martin. Greipels Teamkollege Greg Henderson hatte Aru vor dem Giro-Start indirekt des Dopings bezichtigt - und muss sich nun mit einer Verleumdungsklage auseinandersetzen.

Aru ist bei der Tour nicht dabei. Wohl aber Michele Scarponi, der auf den Kundenlisten der Dopingärzte Eufemiano Fuentes und Ferrari stand. Zweimal wurde Scarponi schon gesperrt, einmal für 18, einmal für drei Monate. In der Teamführung ist die dunkle Vergangenheit des einstigen Blutdopers Winokurow hinlänglich bekannt. Und eine gewichtige Rolle nimmt weiterhin Giuseppe Martinelli ein, der schon Marco Pantani in der EPO-Hochzeit zum Toursieger gemacht hatte.

Dass ausgerechnet Nibali im Vorfeld der Tour zweideutige Anspielungen auf den langen Aufenthalt von Mitfavorit Nairo Quintana in Kolumbien machte, entbehrt nicht einer gewissen Pikanterie. „Das sollte keine Kritik sein. Wir wussten, wo alle Fahrer waren, nur bei ihm nicht. Ich wollte keine Kontroverse daraus machen“, sagte Nibali am Freitag auf der Pressekonferenz, nachdem Quintana seine Verärgerung kundgetan hatte.

In Sachen Doping verweist Nibali stets auf seine weiße Weste, ansonsten drückt er sich um eine klare Positionierung. Kein Vergleich zum Briten Christopher Froome, der im vergangenen Jahr ausbleibende Dopingkontrollen im Trainingslager auf Teneriffa moniert hatte. Nibali trainiert auch gerne auf Teneriffa.