Schumacher-Anwalt Lehner: Kohl und Schmidt als Zeugen
Berlin (dpa) - Im ungünstigsten Fall droht Stefan Schumacher eine Gefängnisstrafe. Aber der in der Vorwoche umfänglich Doping-geständige Radprofi sieht gar keine Grundlage für den am Mittwoch (09.15 Uhr) vor der 16. Großen Strafkammer des Landgerichts Stuttgart gegen ihn beginnenden Betrugsprozess.
Schumacher, der den Weg zur angeblichen Wahrheit mühsam fand, ließ bei seiner Doping-Beichte im „Spiegel“ keinen Zweifel daran: Sein ehemaliger Teamchef Hans-Michael Holczer, der 150 000 Euro zurückfordert, habe über die Doping-Praxis unter Aufsicht der Ärzte in seinem Team Bescheid gewusst - auch, wenn er in der Öffentlichkeit als der große Ahnungslose dazustehen schien.
Die Verteidigungs-Strategie lautet: Wer soll also betrogen worden sein? Schumacher-Anwalt Michael Lehner will wissen, „wie ging es im Team Gerolsteiner wirklich zu?“ Den Tatbestand des Betruges bestreiten nicht nur der Angeklagte und seine Anwälte. Zumindest ziehen ihn auch der einstige Kronzeuge Jörg Jaksche, der auch im Fuentes-Prozess aussagte, der ehemalige Gerolsteiner-Profi Danilo Hondo, und der Doping-Beschaffer Stefan Matschiner in Zweifel. Holczer, inzwischen Berater des russischen Radsport-Verbandes, nannte die Vorwürfe der Mitwisserschaft „völlig aus der Luft gegriffen“ und „Prozess-Taktik“. Der 59 Jahre alte Lehrer aus Herrenberg sagt am 18. April, dem zweiten Verhandlungstag aus.
Außerdem werden laut Lehner, der Schumacher zusammen mit Dieter Rössner vertritt, der des Dopings überführte Ex-Profi Bernhard Kohl und der ehemalige Teamarzt Mark Schmidt als Zeugen auftreten. Der Heidelberger Sportrechtler rechnet mit einer Entscheidung bereits vor dem 4. Juni, dem letzten angesetzten Prozesstermin. Ein Urteil könnte Präzedenzwirkung haben. Schumacher ist der erste Doper, der hierzulande wegen Betruges an seinem Arbeitgeber vor Gericht steht. „Unser Ziel ist klarzustellen, dass nicht der böse Radprofi seinen lieben Chef betrogen hat“, sagte Lehner der Nachrichtenagentur dpa. Schumacher war 2008 der Einnahme des Blutdopingmittels CERA überführt worden.
Heinrich Haussler bezweifelte einige Passagen der Schilderungen Schumachers im „Spiegel“, in denen der 31-jährige Schwabe aus Nürtingen über freien Zugang zu Medikamenten fast jeglicher Art im Teambus berichtete. „Dass eine Kiste da stand, war nicht so. Jedenfalls nicht, als ich im Team war“, sagte der frühere Holczer-Angestellte, jetzt in Diensten des Schweizer Teams IAM, dem ARD-Hörfunk. Genauso äußerte sich Hondo, der im Team Gerolsteiner 2005 für den ersten bekanntgewordenen Dopingfall im früher so sympathischen wirkenden Rennstall aus der Vulkaneifel gesorgt hatte.
Der jetzt bei RadioShack beschäftigte 39-Jährige meldete aber auch Zweifel an Holczers Rechtschaffenheit an. „Widersprüchlich“ sei es schon, „dass er angeblich nicht bemerkte, wie es in seiner Firma wirklich zuging“, meinte Hondo. Auch der verurteilte Ex-Sportmanager Matschiner traut Holczer nicht recht über den Weg: „Wenn man zwischen 1990 und 2008 Teamchef war, dann ist es für mich ganz schwer verständlich zu sagen: 'Ich habe nichts mitbekommen.'“ Schumacher hatte in einem Interview der „Stuttgarter Zeitung“ (Dienstag-Ausgabe) in Bezug auf Holczer bekräftigt: „Antidopingkampf war sein Marketingkonzept.“ Er habe „Russisch Roulette gespielt“ und gewusst, „was im Team läuft“.
Auch Ex-Profi Jaksche geht mit dem Ex-Teamchef hart ins Gericht. „Wenn es stimmt, was Schumacher sagt, ist Holczers zur Schau getragene Ahnungslosigkeit moralisch unterste Klasse“, sagte Jaksche der dpa. Zu seiner aktiven Zeit und auch danach habe er mitbekommen, dass „das Thema Doping wie in allen Rennställen auch bei Gerolsteiner eine Rolle spielte“. Er wies auf eine Parallelität hin. „Bei meiner Vernehmung durch das BKA war die Erkenntnis, dass ein Betrug nicht vorliegen kann, wenn der angeblich Betrogene Bescheid weiß, ausschlaggebend für die Einstellung des Verfahrens gegen mich.“
Ungemütlich könnte es vor dem Landgericht also nicht nur für Schumacher werden. Wenn Holczer am zweiten der acht anberaumten Verhandlungstage in den Zeugenstand tritt, muss er mit Sicherheit unangenehme Fragen beantworten. Sein Nimbus als aufrechter Anti-Doping-Kämpfer, der 2007 die Team-Vereinigung für einen „glaubwürdigen Radsport“ mitbegründete, hat ohnehin stark gelitten. Die Dopingfälle Schumacher, Kohl und Davide Rebellin hatten 2008 für das Aus der Gerolsteiner-Mannschaft gesorgt.