Karriere danach: Schwieriger Absprung gegen den Wind

Kronshagen (dpa) - Die Bilder, die Jonas-Jessyn Schmidt gerade auf seinem Computer anklickt, könnten zwei Geschichten erzählen.

Die eine handelt davon, wie verdammt lässig Surfen aussehen kann. Schmidt ist zu sehen, wie er mit seinem Brett über den Wellen schwebt und sich um die eigene Achse dreht. Und die andere Geschichte: handelt davon, wie schnell sich ein Leben verändern kann.

Aufgenommen wurden die Bilder, als der 32-Jährige noch vom Sport lebte. Heute sitzt Schmidt in einem Rollstuhl, hat die Fotos gespeichert und vermisst davon: nichts. Obwohl ein Unfall seine Sportkarriere schlagartig beendete. „Ich hab das superschnell für mich angenommen“, sagt er. Schmidt vollzog eine Kehrtwende in seiner beruflichen Laufbahn. Sozusagen eine 180-Grad-Drehung mitten im Leben.

Wenn sich wie zurzeit beim Weltcup auf Sylt die weltbesten Surfer vor rund 200 000 Zuschauern messen, ist auch Schmidt zur Zuschauerrolle verdammt. Genug zu tun hat er dennoch. Mittlerweile betreibt er eine Agentur, die junge Musiker betreut. Und er verwaltet ein Haus in der Lüneburger Altstadt, das er gekauft und saniert hat. Seit Juni ist es voll vermietet. Schmidts Leben besteht jetzt aus Mietrecht, Denkmalschutz, Steuerfragen.

Der Wechsel kam plötzlich, weil er während seines parallel laufenden Sportstudiums in Kiel vom Reck rutschte, mit dem Hinterkopf aufschlug und gelähmt war. Aber er wirft ein Schlaglicht auf die Frage, die viele Spitzensportler umtreibt: Was kommt eigentlich nach der Sportkarriere? Immer wieder ist von ehemaligen Top-Athleten zu hören, die nach dem Sportlerleben ins Trudeln geraten. Unter anderem der frühere Fußball-Nationaltorhüter Eike Immel, der 2008 Insolvenz anmeldete. Oder Finnlands Skisprung-Legende Matti Nykänen, der mit Alkoholexzessen in die Schlagzeilen geriet und mehrmals in Haft musste.

„Für nahezu alle Sportler bedeutet das Karriereende einen biografischen Bruch“, sagt der Sportwissenschaftler und Soziologe Robert Gugutzer von der Universität Frankfurt. Meist seien sie so stark auf ihren Sport fixiert, dass wenig Platz für andere Interessen oder gar alternative Karrierepläne bliebe. „Ich glaube, dass mehr Sportler von solchen Krisen betroffen sind, als man denkt. Das könnte ein unterschätztes Problemfeld sein“, meint Gugutzer.

Jonas-Jessyn Schmidts Sprung ins neue Leben begann im April 2007 mit seinem Absturz vom Reck. „Ich bin gelandet und habe sofort gemerkt, dass das Gefühl so rausgeht. Wie es in einer Sekunde aus dem Körper heraus fließt“, beschreibt er den Moment. Vorher war der gebürtige Niedersachse ein aufstrebender Freestyle-Surfer gewesen. 2004 hatte er zum ersten Mal an einer kompletten europäischen Tour der Sportart teilgenommen und war direkt Siebter geworden. Es ging immer weiter.

Für Trainingslager flog Schmidt auf die Isla Margarita in der Karibik oder nach Kapstadt. Vermisst er nicht das Abenteuer? „Gerade weil ich in jungen Jahren mehr gesehen habe, als viele in ihrem ganzen Leben, ist der Drang vielleicht nicht mehr so groß“, antwortet Schmidt auf die Frage, wie er mit dem Karriereende seinen Frieden machen konnte. Vor allem das Haus in Lüneburg ist seine neue Aufgabe. Er stürzte sich in sie hinein wie einst in die Wellen. Die Kompromisslosigkeit ist geblieben, nur in andere Bahnen gelenkt. Vielleicht ist das sein Geheimnis.

„Wenn das mit dem Unfall nicht passiert wäre, wäre die Wahrscheinlichkeit aber groß, dass ich noch surfen würde. Dafür hätte ich vermutlich alles geopfert, auch meine Freundin. Wenn Wind war, dann musste ich los“, erzählt Schmidt. Wind und Wellen sind für ihn heute vor allem Kulissen für die Bilder im Fotoalbum. Und mit seiner Freundin lebt er nun zusammen in einem Haus nahe Kiel.